AllgemeinVon Halo-Effekt bis zentrale Tendenz: Typische Beurteilungsfehler

Von Halo-Effekt bis zentrale Tendenz: Typische Beurteilungsfehler

Ein Chef sieht die guten Leistungen einer Mitarbeiterin nicht. Eine Personalverantwortliche entscheidet sich nicht für den objektiv besten Bewerber. Jemand wird befördert, obwohl es ihm eigentlich an wichtigen Kompetenzen mangelt. Solche Situationen gibt es im Job immer wieder. Wenn sie auftreten, können Beurteilungsfehler dahinterstecken. Was das ist, wie sich Beurteilungsfehler zeigen und wie man sie vermeiden kann, erfährst du hier.

Was sind Beurteilungsfehler in der Psychologie?

Als Beurteilungsfehler werden in der Psychologie kognitive Verzerrungen bezeichnet. Sie können auftreten, wenn Menschen etwas beurteilen – zum Beispiel andere Menschen, bestimmte Situationen oder Dinge. Die individuellen Einschätzungen der Betroffenen weichen davon ab, was objektiv als zutreffend empfunden werden würde. Erfahrungen, individuelle Einflüsse oder bestimmte Denkmuster können die Betroffenen zu Beurteilungsfehlern verleiten. Auch Gefühle und Werte spielen häufig eine Rolle.

Bei einem Beurteilungsfehler wird ein Mensch oder eine Situation meist entweder zu gut oder zu schlecht beurteilt. Den Betroffenen ist dabei oft gar nicht bewusst, dass ihre Einschätzung verzerrt ist.

Beurteilungsfehler lassen sich nicht nur im privaten Bereich beobachten. Sie können auch im Joballtag auftreten. Dann kann es zum Beispiel darum gehen, wie Menschen ihre Kollegen einschätzen, was ein Vorgesetzter über die Leistungen seiner Mitarbeiter denkt oder welche Aufstiegschancen jemand zu haben glaubt. Auch bei der Personalauswahl kommt es immer wieder zu Beurteilungsfehlern, die für Bewerber wie Unternehmen gleichermaßen folgenreich sein können.

Welche Beurteilungsfehler gibt es?

In der Psychologie werden verschiedene Arten von Beurteilungsfehlern unterschieden. Hier findest du die wichtigsten im Überblick.

Halo-Effekt

„Halo“ heißt auf Deutsch Heiligenschein. Beim Halo-Effekt strahlt ein einzelnes, zumeist positives Merkmal eines Menschen besonders stark – so stark, dass es die Gesamtbeurteilung entscheidend prägt. Andere Eigenschaften treten in den Hintergrund. Ein Beispiel: Jemand kann überzeugend reden, wodurch angenommen wird, dass er auch kompetent ist.

Horn-Effekt

Der Horn-Effekt ist das Gegenteil des Halo-Effekts. Hier tritt ebenfalls ein Merkmal in den Vordergrund, allerdings ein negativ behaftetes. Wenn jemand zum Beispiel eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, könnten andere ihn für ungebildet oder inkompetent halten.

Primäreffekt

Beim Primäreffekt wirkt sich der erste Eindruck besonders stark aus. Bei diesem Beurteilungsfehler erinnert man sich am besten an die Informationen, die man zuerst hatte. Häufig tritt dieser Effekt auf, wenn sich Menschen kennenlernen oder zum ersten Mal etwas über eine andere Person hören.

Rezenzeffekt

Das Gegenstück zum Primäreffekt ist der Rezenzeffekt. Hier bleibt besonders gut in Erinnerung, was man zuletzt erfahren hat. Diese Information beeinflusst die Gesamtbeurteilung entscheidend.

Milde- oder Strengefehler

Beim Mildefehler bewertet jemand eine andere Person zu milde. Beim Strengefehler ist das Gegenteil der Fall: Hier wird jemand negativer bewertet, als es objektiv angemessen wäre.

Kontrasteffekt

Der Kontrasteffekt ist ein Beurteilungsfehler, bei dem jemand mit anderen verglichen wird. Dieser Vergleich entscheidet darüber, wie er beurteilt wird. Jemand kann zum Beispiel bei einer Rede besonders klug wirken, weil sein Vorredner keinen allzu begabten Eindruck gemacht hat.

Ähnlichkeitsfehler

Der Ähnlichkeitsfehler sorgt dafür, dass wir Menschen positiver beurteilen, die uns selbst ähnlich sind. Das kann durch Äußerlichkeiten, Werte, Merkmale oder Ansichten der Fall sein. Dieser Effekt kann zum Beispiel dazu führen, dass Männer eher Männer einstellen.

Zentraltendenz-Fehler

Der Zentraltendenz-Fehler führt dazu, dass extreme Beurteilungen vermieden werden. Ein Lehrer beurteilt die mündlichen Leistungen seiner Schüler zum Beispiel bevorzugt im Spektrum von 2 bis 4.

Beurteilungsfehler im Job: Wie sie aussehen können

Beurteilungsfehler können bei der Arbeit für verzerrte Beurteilungen sorgen. Sie können in vielen unterschiedlichen beruflichen Situationen eine Rolle spielen. Dabei können sie zum Beispiel darüber entscheiden, wie gut die Chancen eines Bewerbers sind, wer befördert wird oder wie es um die Zufriedenheit von Kunden bestellt ist.

Hier sind für berufliche Beurteilungsfehler Beispiele:

  • Personalauswahl: Bei personellen Entscheidungen könnten zum Beispiel der Halo-Effekt, der Ähnlichkeitsfehler und der Primäreffekt auftreten. Ein Personalverantwortlicher blickt dann etwa nicht objektiv auf einen Kandidaten, sondern lässt sich von einem Merkmal blenden. Er wählt jemanden aus, der ihm ähnlich ist. Oder seine gesamte Beurteilung einer Bewerberin hängt von den ersten Minuten des Vorstellungsgesprächs ab.
  • Mitarbeiterbeurteilungen: Wenn Vorgesetzte die Leistung ihrer Mitarbeiter einschätzen, können Beurteilungsfehler im Spiel sein. Vielleicht mag der Chef einen Mitarbeiter besonders gern, sodass der Mildefehler auftritt, wodurch seine Leistungen zu positiv beurteilt werden. Der Strengefehler würde umgekehrt dafür sorgen, dass eine Leistungsbewertung negativer ausfällt als angemessen.
  • Beförderungen: Welcher Mitarbeiter befördert wird, kann ebenfalls durch einen Beurteilungsfehler beeinflusst werden – etwa durch den Halo-Effekt oder den Horn-Effekt. Auch der Rezenzeffekt kann maßgeblich für personelle Entscheidungen sein.
  • Beziehungen: Die Beziehungen der Beschäftigten untereinander können durch Beurteilungsfehler ebenso beeinflusst werden wie die Beziehungen zwischen Führungskräften und Beschäftigten. Vielleicht mag ein Arbeitnehmer einen Kollegen besonders gern, weil er ihm ähnlich ist. Oder einer Beschäftigten missfällt der Chef, weil er so aufbrausend ist, auch wenn er eigentlich auch gute Eigenschaften hat.
  • Kundenzufriedenheit: Die Zufriedenheit von Kunden kann durch Beurteilungsfehler verzerrt werden. Vielleicht wirkt sich der Rezenzeffekt aus und eine kürzliche negative Erfahrung sorgt dafür, dass ein langjähriger Kunde sich künftig an die Konkurrenz wendet. Oder vielleicht kommt es zum Horn-Effekt, nachdem ein Unternehmen durch einen Skandal negativ in die Schlagzeilen geraten ist.

Wodurch kann es zu Beurteilungsfehlern kommen?

Wohl jeder Mensch neigt in bestimmten Situationen zu Beurteilungsfehlern. Oft geschieht das unbewusst. Beurteilungsfehler hängen dabei mit verschiedenen Einflüssen zusammen, die realistische Bewertungen erschweren oder unmöglich machen.

Verzerrungen bei der Beurteilung von Personen oder Sachverhalten hängen mit der Funktionsweise des Gehirns zusammen. Für das Gehirn ist Effizienz wichtig. Es muss aus unzähligen Informationen in kürzester Zeit die richtigen Schlüsse ziehen. Dabei kann es auf Heuristiken zurückgreifen. Das sind mentale Abkürzungen, die die Ressourcen des Gehirns schonen. Entscheidungen werden dann zum Beispiel durch Informationen geprägt, die besonders im Vordergrund stehen – zum Beispiel, was jemand zuletzt erlebt hat. Oder Menschen entscheiden sich für die bewährte Vorgehensweise, obwohl es Alternativen gäbe, die sie aber noch nicht ausprobiert haben.

Zu kognitiven Verzerrungen kann es auch durch Emotionen kommen. Man mag dann zum Beispiel eine andere Person einfach nicht und schätzt sie deshalb tendenziell zu negativ ein. Oder man ist gerade schlecht drauf und sieht deshalb Dinge in einem schlechten Licht, die gar nicht so schlimm sind. Zudem spielt es eine Rolle, welche Erfahrungen jemand im Laufe seines Lebens gemacht hat.

Beurteilungsfehler haben ihren Ursprung auch häufig in sozialen und kulturellen Einflüssen. Die sozialen Normen, mit denen jemand aufgewachsen ist und die für ihn normal sind, prägen sein Urteilsvermögen. Dasselbe gilt für kulturelle Werte. Auch Gruppendruck oder Erwartungen anderer können eine Rolle spielen.

Stress kann das Auftreten von Beurteilungsfehlern begünstigen. Wer unter Druck steht, hat weniger mentale Kapazitäten für eine sorgfältige Analyse der Situation. Er lässt sich eher von Gefühlen leiten oder neigt zu Schwarz-Weiß-Denken.

Welche Auswirkungen Beurteilungsfehler haben können

Beurteilungsfehler können ernst zu nehmende Konsequenzen haben. Das gilt sowohl für diejenigen, die zu verzerrtem Denken neigen, als auch für Personen, die zum „Opfer“ davon werden. Das können zum Beispiel Kollegen, Bewerber oder der Arbeitgeber sein.

Wer andere falsch beurteilt, kann damit Fehlentscheidungen treffen. Eine Personalverantwortliche entscheidet sich womöglich für einen Kandidaten, der objektiv nicht die beste Wahl ist. Wenn ein anderer Bewerber kompetenter gewesen wäre, entgeht dem Unternehmen eine Chance. Oder eine Führungskraft wählt wegen des Ähnlichkeitsfehlers einen ihr ähnlichen Mitarbeiter für die Beförderung aus – auch das ist nicht im Sinne des Arbeitgebers.

Beurteilungsfehler bei der Arbeit können Beziehungen belasten. Zum Beispiel unter Kollegen, wenn ein Beschäftigter einen anderen negativer sieht, als es gerechtfertigt wäre. Schlechte Beziehungen sind ein Produktivitätshemmnis, vor allem bei der Zusammenarbeit im Team. Sie können zwischenmenschliche Konflikte begünstigen und sich negativ auf die Arbeitsatmosphäre auswirken.

Diejenigen, die unter einem Beurteilungsfehler zu leiden haben, sind womöglich frustriert, wütend oder fühlen sich ungerecht behandelt. Ein Bewerber ist nach einer ungerechtfertigten Absage schlecht auf ein Unternehmen zu sprechen. Eine Mitarbeiterin ist sauer, weil nicht sie, sondern ihr Kollege befördert wurde, der weniger erfahren ist. Oder ein Beschäftigter, dessen Chef seine Leistungen nicht anerkennt, macht im Job nur noch das Nötigste.

Je nachdem, wie Beurteilungsfehler im Einzelfall aussehen, können sie mehr oder weniger schwerwiegende Auswirkungen haben. Außerdem macht es einen Unterschied, ob es regelmäßig dazu kommt und worum es dabei geht.

Tipps, um Beurteilungsfehler zu vermeiden

Es ist nicht möglich, Beurteilungsfehler vollständig zu vermeiden. Man kann aber Maßnahmen ergreifen, um ihre Wahrscheinlichkeit zu reduzieren. Der erste Schritt besteht darin, sich bewusst zu machen, dass es Beurteilungsfehler gibt. Wer die verschiedenen Formen des Beurteilungsfehlers kennt, weiß, zu welchen Verzerrungen er selbst neigen könnte oder wie andere in ihren Entscheidungen beeinflusst sein könnten. Dieses Bewusstsein erleichtert es, verzerrte Wahrnehmungen und Einschätzungen zu erkennen und sich nicht von ihnen leiten zu lassen.

Um Beurteilungsfehler im Job zu vermeiden, sind nicht nur Beschäftigte gefragt. Arbeitgeber und ihre Führungskräfte haben einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie wahrscheinlich kognitive Verzerrungen und die damit verbundenen Entscheidungen in einem Unternehmen sind.

Was bei der Prävention von Beurteilungsfehlern am Arbeitsplatz möglich ist, hängt von den jeweiligen Situationen und Sachverhalten ab.

Um Beurteilungsfehler im Mitarbeitergespräch zu vermeiden, ist eine klare Beurteilungsgrundlage wichtig. Für Leistungsbeurteilungen sollte es objektive Kriterien geben, auf die Führungskräfte sich bei ihrer Bewertung stützen. Das kann etwa in Form von standardisierten Bewertungsbögen oder Checklisten geschehen. Wann immer möglich, ist es sinnvoll, messbare Kriterien zu nutzen. Zielvereinbarungen mit Mitarbeitern können dabei ebenfalls hilfreich sein.

Ein 360-Grad-Feedback ist eine weitere nützliche Methode, um Beurteilungsfehlern vorzubeugen. Dabei wird jemand aus unterschiedlichen Perspektiven beurteilt. Einbezogen werden dann etwa Einschätzungen von Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Kollegen, gegebenenfalls auch von Kunden oder anderen geschäftlichen Kontakten. So entsteht ein detailliertes und differenziertes Bild von Leistungen und Kompetenzen der beurteilten Person.

So werden Beurteilungsfehler im Bewerbungsgespräch unwahrscheinlicher

Objektive Kriterien sind auch bei Personalentscheidungen von zentraler Bedeutung. Sie können verhindern, dass Personaler sich zu stark von Emotionen oder anderen kognitiven Verzerrungen leiten lassen. Mit ihnen kann außerdem vermieden werden, dass Beschäftigte befördert werden, die weniger kompetent als andere sind.

Um den Einfluss von Beurteilungsfehlern zu begrenzen, ist es zudem hilfreich, wenn nicht einzelne Personen wichtige Entscheidungen alleine treffen. Wenn es mehrere Verantwortliche gibt, fördert das eine sachliche, objektiv zutreffende Einschätzung.

Es ist hilfreich, Führungskräfte für kognitive Verzerrungen zu sensibilisieren. Sie können in Schulungen mehr darüber erfahren, wie sich Verzerrungen zeigen können, welche Auswirkungen möglich sind und wie sie Beurteilungsfehler vermeiden können.

Digitale Tools spielen im Joballtag eine immer größere Rolle. Sie können Mitarbeitern nicht nur die Arbeit erleichtern, sondern auch objektivere Entscheidungen treffen, die auf objektiven Kriterien beruhen. Auch solche Entscheidungen können allerdings verzerrt sein, zum Beispiel durch intransparente oder verzerrende Algorithmen. Um das zu verhindern, ist es wichtig, digitale Hilfsmittel sorgfältig auszuwählen.

Beurteilungsfehler vermeiden: Was dafür wichtig ist

  • Im Joballtag ist es wichtig, dass Entscheidungen objektiv getroffen werden. Das trägt zum Erfolg von Unternehmen bei und hilft, negative Entwicklungen zu verhindern.
  • Einschätzungen können jedoch durch Beurteilungsfehler verzerrt sein. Wer sich über mögliche kognitive Verzerrungen im Klaren ist, kann sie eher vermeiden.
  • Für wichtige Entscheidungen sollte es klare, objektive Kriterien geben. So kann beispielsweise der Effekt von Beurteilungsfehlern im Bewerbungsgespräch oder bei Leistungsbeurteilungen reduziert werden.
  • Führungskräfte spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Beurteilungsfehler zu vermeiden. Sie sollten daher regelmäßig geschult und für mögliche Wahrnehmungsverzerrungen sensibilisiert werden.
  • Für objektive Entscheidungen kann es zudem sinnvoll sein, wenn Entscheidungen von mehreren Personen getroffen werden, statt die Verantwortung in die Hände von Einzelnen zu legen.

Bildnachweis: Khosro / Shutterstock.com

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