AllgemeinAnkereffekt: Wie geschicktes Anchoring im Beruf helfen kann

Ankereffekt: Wie geschicktes Anchoring im Beruf helfen kann

Vom Ankereffekt haben viele Menschen noch nie gehört – sollten sie aber. Die damit verbundene Ankerheuristik kann dir nämlich im Job helfen. Du kannst sie zum Beispiel nutzen, um ein besseres Gehalt zu verhandeln. Was der Ankereffekt ist, welchen Hintergrund er hat und wie du davon im Beruf profitieren kannst, erfährst du hier.

Ankereffekt Definition: Was ist der Ankereffekt?

Hast du dich schon einmal gefragt, warum wir Entscheidungen so treffen, wie wir sie treffen? Vielleicht denkst du jetzt: Ich wäge auf Basis möglichst breiter Informationen sorgfältig ab und entscheide mich dann für die beste Wahl. Ganz so rational wie viele Menschen meinen kommen Entscheidungen allerdings oft nicht zustande. Ganz im Gegenteil: vieles läuft unbewusst ab. Wir lassen uns häufiger von Emotionen, diffusen Gefühlen und vagen Einschätzungen leiten als wir meinen. Das gilt besonders in Situationen, wo wir eben nicht alle Informationen haben, die wir bräuchten, um eine fundierte Entscheidung zu treffen.

Der Ankereffekt ist ein Erklärungsansatz dafür, warum wir uns bei Entscheidungen und Urteilen häufig von Dingen beeinflussen lassen, die uns weder bewusst sind noch die wirklich eine gute Entscheidungsgrundlage sind.

Der Ankereffekt, aus dem Englischen abgeleitet auch als Anchoring-Effekt bezeichnet, ist ein psychologisches Phänomen. Es beschreibt eine kognitive Verzerrung, bei dem wir uns an einem Referenzpunkt orientieren – dem Anker – und davon unsere Entscheidung oder Einschätzung in einer bestimmten Situation abhängig machen. Und zwar völlig ungeachtet dessen, ob es sich um einen sinnvollen Anker handelt oder nicht. Mitunter hat der Referenzpunkt, an dem wir uns orientieren, nämlich rein gar nichts mit dem zu tun, worum es bei unserer Einschätzung oder Entscheidung geht. Klingt irrational? Ist es in vielen Fällen auch.

Beliebige Informationen können unsere Entscheidungen und Urteile beeinflussen

Der Ankereffekt beschreibt die Tatsache, dass wir uns von oft vollkommen beliebigen Informationen beeinflussen lassen, wenn wir etwas nicht genau wissen, aber eine Antwort geben müssen, oder wenn wir dazu gezwungen sind, eine Entscheidung zu treffen. Häufig handelt es sich bei diesen Informationen um Zahlen, aber es kann sich auch um andere Aspekte handeln.

Auf diese Weise kommen durch den Anchor-Effekt häufig irrationale Entscheidungen zustande. Wie kommt es dazu? Der Hintergrund ist simpel: Wer Entscheidungen trifft, braucht dafür eigentlich sehr viele Informationen. Davon haben wir aber nicht immer genug. Um kognitive Kapazitäten zu sparen und trotz der begrenzten Informationen möglichst rasch eine Entscheidung zu treffen, nimmt das Gehirn eine Abkürzung. Es greift sich den nächstbesten Anker – und der entscheidet maßgeblich darüber, wie wir agieren. Die Folge: Wir geben eine Schätzung ab und entscheiden uns instinktiv für eine Variante. Das Ergebnis lässt sich nicht immer gut begründen und ist oft rational nicht nachvollziehbar.

Eng verbunden mit dem Ankereffekt ist der Begriff der Ankerheuristik. Oft werden beide Begriffe synonym verwendet, was jedoch bei genauerer Betrachtung nicht ganz korrekt ist. Denn während der Ankereffekt unbewusste Entscheidungen aufgrund von teilweise gänzlich unpassenden Ankerpunkten beschreibt, setzt man bei der Ankerheuristik ganz bewusst einen Anker, um eine Entscheidung bei begrenztem Wissen zu treffen. Bei einer Ankerheuristik werden also Referenzpunkte gewählt, die prinzipiell mit der Sache, um die es geht, zu tun haben. Sie sind anders als beim Ankereffekt nicht vollkommen beliebig.

Ankereffekt und Ankerheuristik: Beispiele

Für den Ankereffekt und die Ankerheuristik gibt es viele praktische Beispiele – sie begegnen uns im Alltag oder sind Bestandteil kognitionspsychologischer Experimente. Anchoring kann immer dann auftreten, wenn wir auf Basis begrenzter Informationen handeln oder eine Einschätzung abgeben müssen. Entweder orientieren wir uns dabei bewusst an einem Ankerpunkt, oder das Gehirn trifft diese Entscheidung für uns und orientiert sich an der nächstbesten Zahl oder Information – auch dann, wenn diese nichts mit dem Sachverhalt zu tun hat.

Ein klassisches Beispiel ist die Frage, wovon wir abhängig machen, ob wir etwas teuer finden oder nicht. Die Referenz ist dabei das, was wir gewohnt sind. Ob der Liter Benzin nach subjektivem Empfinden gerade teuer oder günstig ist, hängt davon ab, wie sich der Preis entwickelt. Eine Rolle spielt aber auch, wie teuer das Benzin war, als man mit dem Autofahren angefangen hat.

Oder stellen wir uns vor, jemand surft im Internet und sucht in einem Online-Shop mit hohen Preisen nach Kleidung. Alles ist vergleichsweise teuer, aber manche Dinge sind reduziert – diese Angebote werden dann wahrscheinlich als Schnäppchen empfunden und lösen einen Kaufimpuls aus, obwohl sie trotzdem noch deutlich teurer sind als andere Marken.

Ob etwas als teuer empfunden wird, wird auch von den übrigen Preisen bestimmt

Auch wer sich einen Kaffee holt, hat einen Ankerpunkt: einerseits den Preis von einer Tasse Kaffee, den man gewohnt ist, andererseits die Preise der anderen Angebote in diesem speziellen Laden. Oft gibt es diverse Kaffeespezialitäten, die in mehreren Größen angeboten werden. Schon die kleinste Menge ist teuer – und so ist der Schritt zum nächstgrößeren Becher oder auch dem größten Becher nicht groß. Genauso ist es bei den Preisen für Popcorn und Softdrinks im Kino.

Der Ankerpunkt kann auch davon abhängig sein, was andere ausgeben, zum Beispiel beim Trinkgeld. Wenn eine Gruppe von Freunden zusammen essen geht und jeder seine Rechnung separat zahlt, gibt der erste Zahlende den Rahmen vor. Die übrigen Personen werden sich sehr wahrscheinlich an der Höhe seines Trinkgelds orientieren.

Ankereffekt in der Psychologie: Experimente von Kahneman und Tversky

Die US-Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky gehören zu den bekanntesten Forschern des Ankereffekts. Die beiden haben zahlreiche Experimente rund um den Ankereffekt durchgeführt. Ein bekannter Versuch involvierte erfahrene deutsche Richter. Die Richter sollten bestimmen, wie lange eine Person für einen Ladendiebstahl verurteilt werden sollte. Dabei lagen Würfel auf dem Tisch, die entweder eine Drei oder eine Neun anzeigten. Das erschreckende Ergebnis des Experiments: Richter, die eine Neun würfelten, schlugen im Schnitt eine Haftstrafe von acht Monaten vor. Wurde hingegen eine Drei gewürfelt, lag das vorgeschlagene Strafmaß durchschnittlich bei nur fünf Monaten.

Bei einem anderen Experiment wurden Studenten in zwei Gruppen geteilt. Die Studenten in der ersten Gruppe wurden gefragt, ob Mahatma Gandhi vor oder nach dem Alter von 144 Jahren gestorben sei. Bei der anderen Gruppe lautete die Frage, ob Gandhi mit 32 Jahren, früher oder später gestorben sei. Anschließend sollten die Studenten schätzen, wann Gandhi tatsächlich gestorben ist. Wie erwartet nannte die erste Gruppe ein höheres Sterbealter als die zweite; im Schnitt lag der Unterschied bei 15 Jahren.

Und noch ein Beispiel: Eine Nichtregierungsorganisation bat in diesem Szenario um Spenden. Lag die Forderung bei 400 US-Dollar, lag die durchschnittliche Spendenhöhe bei 143 US-Dollar. Forderte die Organisation hingegen nur 5 US-Dollar, wurden im Schnitt 20 US-Dollar gespendet.

Wie du den Ankereffekt im Job für dich nutzen kannst

Die Erforschung des Ankereffekts hat nicht nur interessante Experimente hervorgebracht. Du kannst die Erkenntnisse aus der Forschung auch praktisch nutzen – zum Beispiel im Job. Wenn du etwa im Marketing arbeitest, kann dir der Anchoring-Effekt dabei helfen, bei deiner Arbeit bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, weil du Kunden und potenzielle Kunden gezielt beeinflussen kannst. Nun arbeitet natürlich nicht jeder im Marketing. Das heißt aber nicht, dass du nicht trotzdem vom Ankereffekt profitieren kannst.

Ein klassisches Beispiel für eine Situation, in der du dir den Ankereffekt zunutze machen kannst, sind Gehaltsverhandlungen. Angenommen, du hast dich für eine neue Stelle beworben und im Vorstellungsgespräch geht es darum, dein Einstiegsgehalt auszuhandeln. Dabei ist besonders wichtig, dass du ein gutes Angebot bekommst, weil auch dein künftiges Gehalt vom Einstiegsgehalt abhängt.

Den Grundstein für die Gehaltsverhandlungen im Bewerbungsgespräch hast du wahrscheinlich schon in deiner Bewerbung gelegt. Viele Bewerber freuen sich zwar nicht, wenn ein möglicher Arbeitgeber sie bittet, eine Gehaltsvorstellung in der Bewerbung anzugeben. Wenn du an den Ankereffekt denkst, ist genau das aber ein Vorteil, der entscheidend beeinflussen kann, was du später verdienst. Gib also ein möglichst hohes, aber trotzdem realistisches Gehalt an. Es hilft, keine glatten Summen zu nennen, weil du dabei größere Gefahr läufst, in Tausenderschritten heruntergehandelt zu werden. Ungerade Summen werden oft im Verhältnis weniger stark unterboten.

Mit Ankerheuristik zur Gehaltserhöhung

Ein weiteres Beispiel für die Anwendung des Ankereffekts im Job sind Verhandlungen über eine Gehaltserhöhung. Überlege dir vorab, mit welchem Angebot du in die Verhandlungen mit deinem Chef starten möchtest, und berücksichtige dabei den Ankereffekt. Wann immer möglich, solltest du der Erste sein, der eine konkrete Summe nennt.

Wenn dein Vorgesetzter dich herunterhandeln möchte, kann es im Sinne einer Ankerheuristik sinnvoll sein, den genannten Betrag in Prozentbeträgen zu reduzieren. Versuche des US-amerikanischen Marketing-Professors Devon DelVecchio von der Universität Miami haben gezeigt, dass Rabatte besser in Prozent angegeben werden sollten. Die Kunden können nicht so schnell ausrechnen, was der Rabatt konkret bedeutet, sehen aber, dass sie sparen. Das kann ausreichend sein, um sich darauf einzulassen – auch wenn es eigentlich gar nicht um große Preissenkungen geht. Auch in Gehaltsverhandlungen im Beruf kann dir dieser Effekt nützen.

Bildnachweis: Siberia Video and Photo / Shutterstock.com

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