Jeder Mensch hat bestimmte Dinge, an die er glaubt. Bloß: Nicht alles davon ist tatsächlich zutreffend. Der Bumerang-Effekt ist ein Erklärungsansatz in der Psychologie für Fälle, in denen die Konfrontation mit Tatsachen falsche Annahmen sogar noch verstärken kann. Was dahinter steckt, wie der Bumerang-Effekt praktisch aussehen könnte und was man gegen Fehlinformationen tun kann, erfährst du hier.
Bumerang-Effekt: Was ist das?
Jeder Mensch hat eine Vielzahl an Annahmen und Glaubenssätzen. Manches davon stützt sich auf eigene Erfahrungen, anderes glaubt man zu wissen – und verteidigt es nicht selten vehement, wenn jemand eine abweichende Meinung äußert oder versucht, einen davon zu überzeugen, dass man falsch liegt.
Ein möglicher psychologischer Effekt, der solche Fälle erklären soll, ist der Bumerang-Effekt. Auf Englisch ist er als backfire effect bekannt, weshalb im Deutschen auch vom Backfire-Effekt die Rede ist. Dabei hat jemand eine bestimmte Annahme, der er sehr stark anhängt. Dann kommt er in Kontakt mit Tatsachen, die dieser Annahme widersprechen – aber bleibt umso stärker bei seiner eigenen Meinung. Sein Glaube verstärkt sich also durch die Konfrontation mit abweichenden Tatsachen noch.
Die beiden Politikwissenschaftler Brendan Nyhan und Jason Reifler haben den Begriff des Backfire-Effekts geprägt. Nyhan und Reifler konnten in einer Studie zeigen, dass Konservative, die an das Vorhandensein von Massenvernichtungswaffen im Irak glaubten, das häufig auch dann noch taten, wenn sie mit anderslautenden Fakten konfrontiert wurden. Denkbar wäre der Bumerang-Effekt auch im Alltag, vor allem, wenn es um politische Einstellungen oder Verschwörungstheorien geht.
Beispiele: So könnte der Backfire-Effekt praktisch aussehen
Zum Beispiel kursierte unter Gegnern der Coronaschutzimpfung die Annahme, der Impfstoff enthalte auf Anweisung von Multimilliardär Bill Gates einen Mikrochip. Anderslautende Medienberichte, besonders von Medien, die die Anhänger dieser Theorie als „Fake News“ einstufen, könnten diesen Glauben noch verstärken. Die Medien könnten die Wahrheit schließlich vertuschen wollen – oder selbst von der Regierung getäuscht worden sein. Andere Theorien gingen davon aus, dass Gates selbst verantwortlich für das neuartige Coronavirus gewesen sei – damit massenhaft Impfungen verabreicht werden können. Auch hier gilt: Wenn es anderslautende Berichte gegeben hätte oder Menschen im persönlichen Gespräch abweichende Meinungen gehört hätten, hätte das den Glauben an diese vermeintliche Tatsache bei manchen Menschen intensivieren können.
Noch ein Beispiel dafür, wie der Bumerang-Effekt praktisch aussehen könnte: Jemand könnte glauben, dass die Mondlandung eine Inszenierung war. Diese Annahme gehört zu den bekanntesten Verschwörungstheorien, und wie das mit Verschwörungstheorien so ist, lässt sie sich weder zu hundert Prozent beweisen noch widerlegen. Denkbar also, dass jemand umso beharrlicher bei seiner Meinung bleiben würde, wenn jemand versuchen würde, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
Wissen muss man allerdings auch, dass die Existenz des Bumerang-Effekts umstritten ist. Manche Studien – wie die von Nyhan und Reifler – legen nahe, dass es den Backfire-Effekt tatsächlich gibt. Spätere Studien konnten dafür hingegen keine Hinweise finden. So kamen etwa Thomas Wood und Ethan Porter in einer Studie im Jahr 2017 zu dem Schluss, dass Beweise für den Bumerang-Effekt „wesentlich dürftiger“ seien als frühere Forschung nahegelegt hätte. Im Großen und Ganzen, so die Forscher, würden Menschen Fakten Beachtung schenken – und zwar auch dann, wenn diese Informationen ihre ideologischen Vorstellungen infrage stellen.
Warum halten sich falsche Annahmen oft so hartnäckig?
Egal, ob es den Bumerang-Effekt nun tatsächlich gibt oder nicht: Es ist eine Tatsache, dass sich viele falsche Vorstellungen hartnäckig halten, selbst wenn es zig Belege dafür gibt, dass sie unwahr sind. Woran liegt das? In der Psychologie gibt es dafür verschiedene Erklärungen. Da wäre etwa der Confirmation Bias, auf Deutsch auch Bestätigungsfehler genannt. Er bezeichnet das Phänomen, dass Menschen dazu neigen, die Informationen zu bevorzugen, die ihren Vorannahmen und Erwartungen entsprechen. Das führt zu kognitiven Verzerrungen.
Nehmen wir zum Beispiel an, jemand möchte nachhaltig leben und das Klima schützen. Er nutzt öffentliche Verkehrsmittel und hat seine Flugreisen drastisch eingeschränkt. Dann stößt er auf einen Bericht, demzufolge Fleischkonsum einen enormen Effekt auf das Klima hat – ungefähr so viel wie jeglicher Verkehr, samt Flugzeugen, weltweit zusammengenommen. Auf Fleisch möchte er jedoch nicht verzichten, und liest lieber nicht mehr weiter.
Das hängt auch mit einem weiteren psychologischen Effekt zusammen, nämlich der kognitivenDissonanz. Das ist ein Zustand, in dem jemand mit etwas konfrontiert ist, das seine Annahmen und sein Selbstverständnis infrage stellt. Die damit einhergehenden unangenehmen Gefühle möchte er lieber nicht spüren, so dass er sich mit der Sache gar nicht erst befasst. Ein Beispiel ist ein Raucher, der zwar weiß, dass Zigarettenkonsum schädlich ist, aber von den möglichen Gesundheitsschäden im Detail nichts wissen möchte.
Wie sich der eigene Freundeskreis auswirken kann
Eine Rolle spielt auch Reaktanz. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie in ihrem Denken oder Handeln eingeschränkt oder beeinflusst werden sollen, kann das inneren Widerstand auslösen. Es befördert den Drang, genau das zu tun, was man nach Ansicht anderer Menschen nicht tun sollte, um die eigene Handlungs- und Entscheidungsfreiheit zurückzugewinnen.
Auch, mit wem jemand Umgang hat, wirkt sich darauf aus, ob sich falsche Annahmen halten können oder nicht. Naturgemäß umgeben wir uns gerne mit Gleichgesinnten. Wenn man sich nun aber online und in der Realität nur mit Personen umgibt, die die eigenen Ansichten teilen, sind einem abweichende Vorstellungen umso fremder. Auch der Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit kann unter solchen Umständen dazu führen, dass man auf Fehlinformationen beharrt – würde man sie anzweifeln, könnte das die eigene Position in der Gruppe gefährden.
Wie falsche Annahmen Schaden anrichten können
Falsche Annahmen können schädlich sein – für die Betroffenen selbst, für Dritte, aber auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In manchen Fällen sind Fehlinformationen zwar harmlos, weil sie keine nennenswerten Auswirkungen haben. In anderen Fällen aber können sie großen Schaden anrichten.
Das gilt zum Beispiel für zwischenmenschliche Beziehungen. Wenn eine Person falsche Annahmen hat und sich auch von guten Argumenten nicht von Tatsachen überzeugen lässt, kann das Unmut bei der anderen Person auslösen. So können Konflikte entstehen, die die Beziehung belasten und sie schlimmstenfalls so verschlechtern, dass die Freundschaft zerbricht. Die früheren Freunde kommen nicht mehr auf einen Nenner und können die Distanz zwischen ihnen nicht mehr überbrücken.
Fehlannahmen sind auch dann ein Problem, wenn sie eine Person zu bestimmten Handlungen antreiben. Angenommen, eine arbeitslose Person ist überzeugt davon, dass „Ausländer“ ihm die Arbeitsplätze wegnehmen. Wenn er darüber wütend ist, könnte er das an einem x-beliebigen „Ausländer“ auslassen, indem er diese Person verbal oder körperlich angreift – auch wenn er sie gar nicht persönlich kennt.
Besonders, wenn Menschen sich mit denselben Fehlinformationen in einer Gruppe zusammenfinden, kann das gravierende Konsequenzen haben. Wenn die Gruppe sich in ihrem Handeln von falschen Annahmen leiten lässt, führt das womöglich dazu, dass Dritte darunter leiden. Auch der gesellschaftliche Zusammenhalt gerät durch eine vermehrte Gruppenbildung, hartnäckige Ideologien und eine zunehmende Polarisierung in Gefahr.
Darunter leiden dann auch die Menschen, die nicht unmittelbar mit Fehlinformationen in Kontakt geraten oder deren Auswirkungen direkt zu spüren bekommen. Mit der Zeit kann es immer schwieriger werden, sich in Menschen mit anderen Vorstellungen einzufühlen und überhaupt zu akzeptieren, dass sie andere Ansichten haben als man selbst. Dabei geht auch auf persönlicher Ebene etwas verloren, denn der Austausch mit Menschen, die anders sind als man selbst, kann durchaus bereichernd sein und neue Impulse geben. Außerdem trägt er zum gegenseitigen Verständnis bei, was dann womöglich fehlen würde.
Was kann man gegen Fehlinformationen tun?
Ob Bumerang-Effekt oder simple Fehlinformationen – falsche Annahmen können für die Betroffenen negative Konsequenzen haben und zu einer Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Was kann man dagegen tun? Hier findest du Tipps, wie du gegensteuern kannst – bei dir selbst und wenn du feststellst, dass andere hartnäckige falsche Annahmen haben.
Wie du dich gegen Fehlinformationen wappnen kannst
Niemand ist davor gefeit, Fehlinformationen zu glauben. Egal, wie überzeugt du davon sein magst, dass deine Annahmen richtig sind – das denken die anderen auch. Sich darüber im Klaren zu sein, dass möglicherweise manche Ihrer Annahmen falsch sind, ist ein wichtiger Schritt, um sich vor Fehlinformationen zu wappnen. Das gilt auch für Annahmen, die du schon lange hast. An diesen rütteln die meisten Menschen nur sehr ungerne, aber letztlich hast du nichts davon, wenn du falsche Vorstellungen am Leben erhältst. Sei also offen für anderslautende Meinungen und Fakten und hinterfrage, worauf sich deine Ansichten stützen.
Mit neuen „Fakten“ solltest du kritisch umgehen. Mache es dir zur Angewohnheit, dich zu fragen: Woher kommt die Information? Was ist die Quelle? Wie wahrscheinlich ist es, dass die Information stimmt? Gibt es abweichende Informationen? Auf diese Weise fällst du nicht so leicht auf falsche Informationen herein.
Ebenso wichtig ist es, dass du vermeintliche Tatsachen nicht als Fakten an andere Personen weitergibst, die dich für glaubwürdig halten. Sonst hast du nämlich im Nu dafür gesorgt, dass sich die Fehlinformation auch bei anderen festigt. Sage also dazu, wenn du etwas nicht sicher weißt oder an der Glaubwürdigkeit einer Information zweifelst – oder behalte die Information gleich für dich, bevor du andere damit verunsicherst.
Was du bei anderen gegen Fehlannahmen tun kannst
Angenommen, du bekommst mit, dass andere Personen falsche Annahmen haben. Was kann, was sollte man in so einer Situation tun? Es kommt natürlich auf die Umstände an. Wenn sich zwei dir fremde Personen in der Bahn miteinander unterhalten und es sich um vergleichsweise harmlose Fehlinformationen handelt, wirst du wahrscheinlich nicht den Besserwisser spielen und die Betroffenen aufklären, indem du dich ungefragt in das Gespräch einmischst.
Mit anderen über ihre Fehlannahmen zu sprechen macht am ehesten Sinn, wenn du die Personen kennst – zum Beispiel, weil es sich um jemanden aus deinem Freundeskreis handelt, aus der Familie oder dem Kollegenkreis. Ob man dir wirklich Gehör schenkt, hängt davon ab, wie gut eure Beziehung ist. Freunden glaubt man eher als Menschen, mit denen man kaum Berührungspunkte hat oder die man sogar leicht negativ einschätzt. Je weiter entfernt die Person von dir ist, desto mehr spricht dafür, sich die Mühe zu sparen.
Es kommt natürlich auch darauf an, wie du argumentierst und in welchem Ton du mit der anderen Person sprichst. Je besser deine Argumente sind und je plausibler du deine Ansichten erklären kannst, desto eher wirst du andere überzeugen können. Allzu missionarisch oder gar überheblich solltest du dabei aber nicht auftreten – das kann Reaktanz auslösen und damit das Gegenteil von dem bewirken, was du bezwecken möchtest. Auch starke Emotionen sind in solchen Gesprächen nicht angebracht. Es geht schließlich um Fakten und nicht darum, eine Diskussion zu gewinnen.
Bildnachweis: Ben Schonewille / Shutterstock.com