AllgemeinSo funktioniert das Hinweisgebersystem in Deutschland

So funktioniert das Hinweisgebersystem in Deutschland

Wenn Arbeitnehmer auf Missstände bei ihrem Arbeitgeber aufmerksam werden, wissen sie oft nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Klarer ist der Ablauf, wenn es ein Hinweisgebersystem im Unternehmen gibt. Was genau das ist, welche Vor- und Nachteile es hat und warum künftig mehr Unternehmen zur Einführung eines Hinweisgebersystems verpflichtet sind, erfährst du hier.

Was ist ein Hinweisgebersystem?

Es kommt immer wieder vor, dass in Unternehmen Missstände herrschen oder es zu Rechtsverstößen kommt. Das kann absichtlich oder unabsichtlich geschehen; der Arbeitgeber selbst kann auf höchster Ebene involviert sein oder „nur“ bestimmte Mitarbeiter. Andere Mitarbeiter bekommen häufig mit, wenn in ihrer Firma etwas schiefläuft. Betroffene sind häufig unsicher, was sie tun sollen: Sollen sie mit einem Vorgesetzten darüber reden, was sie mitbekommen haben? Müssen sie das sogar? Oder ist das im Gegenteil gar nicht erwünscht?

Klarheit schaffen Hinweisgebersysteme, die für genau solche Fälle vorgesehen sind. Sie können unternehmensintern bestehen oder extern und dann zum Beispiel mit den zuständigen Behörden verknüpft sein. Wer von Rechtsverstößen erfährt, kann dann – oft auch anonym – eine Meldung über das Hinweisgebersystem abgeben. Hinweisgebersysteme sind auch als Whistleblowing-Systeme bekannt.

Systematischer Umgang mit Hinweisen auf Rechtsverstöße

Gibt es ein Hinweisgebersystem, ist der Umgang mit Informationen über Rechtsverstöße in Unternehmen systematischer. Die Abläufe sind dadurch klar – Hinweisgeber erstatten Meldung und die zuständigen Stellen kümmern sich um alles Weitere. Meist wird der Hinweisgeber auf dem Laufenden gehalten und erfährt, ob seine Meldung einen Effekt hatte. Bei anonymen Hinweisen geht das natürlich nicht.

Nicht nur Mitarbeiter können Hinweisgebersysteme nutzen, sondern auch externe Personen, zum Beispiel Kunden, Lieferanten oder ehemalige Mitarbeiter.

Häufig können Hinweisgeber ihre Meldungen schriftlich, mündlich oder persönlich abgeben. In jedem Fall muss es möglich sein, Hinweise sicher weiterzugeben. Das kann über ein elektronisches Hinweisgebersystem geschehen, eine Ombudsperson oder Mitarbeiter der Compliance-Abteilung. Bei der Einführung solcher Meldesysteme in Unternehmen muss der Betriebsrat beteiligt werden. Das gilt auch, wenn ein schon bestehendes Hinweisgebersystem geändert werden soll.

Whistleblowing-Richtlinie der EU: Besserer Schutz für Hinweisgeber

Einige Unternehmen haben Hinweisgebersysteme schon eingeführt, aber längst nicht alle. Bald sind viele Unternehmen jedoch dazu gezwungen. Das hängt mit der sogenannten Whistleblower-Richtlinie der Europäischen Union, der EU-Richtlinie 2019/1937 vom Oktober 2019, zusammen. Mit der EU-Hinweisgeberrichtlinie soll die Stellung von Hinweisgebern verbessert und Whistleblower besser vor Benachteiligung durch den Arbeitgeber geschützt werden.

Gemeldet werden können dabei Verstöße gegen EU-Recht in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel Finanzdienstleistungen, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Verbraucherschutz, Datenschutz und Produktsicherheit. Dafür sind unabhängige interne und externe Meldesysteme vorgesehen, an die Hinweisgeber sich vertrauensvoll wenden können, wenn sie einen Verdacht auf einen Gesetzesverstoß haben.

Hinweisgeber sollten ihre Erkenntnisse zunächst intern weitergeben, müssen das aber nicht. Sie können sich alternativ auch direkt an eine externe Meldestelle wenden. Diese muss innerhalb von drei Monaten auf die Meldung reagieren und den Hinweisgeber über den Sachstand informieren. Führt die Meldung nicht dazu, dass die Angelegenheit aufgeklärt wird, können sich Hinweisgeber auch an die Öffentlichkeit wenden. Das geht nach der EU-Whistleblower-Richtlinie auch direkt, wenn das öffentliche Interesse durch einen Rechtsverstoß gefährdet ist.

Hinweisgeber sollen nicht benachteiligt werden können

Mit der EU-Hinweisgeberrichtlinie ist ein besserer Hinweisgeberschutz verbunden. Hinweisgeber sollen durch ihre Meldungen keine Nachteile wie etwa Abmahnungen, Suspendierungen oder Kündigungen haben. Wenn doch, sollen Arbeitgebern Sanktionen drohen. Auch Schadensersatz für Hinweisgeber ist in solchen Fällen durch die EU-Richtlinie vorgesehen.

Dabei spielt es keine Rolle, welche Motivation der Hinweisgeber für seine Meldung hat, ob er also etwa aus Rache am Arbeitgeber einen Hinweis abgibt oder zum Schutz der Öffentlichkeit. Kommt es zu einer arbeitsrechtlichen Maßnahme wie etwa einer Kündigung oder Versetzung eines Hinweisgebers, muss der Arbeitgeber künftig nachweisen können, dass das nicht mit dessen Meldung in Verbindung steht.

Anders verhält es sich nach der EU-Whistleblower-Richtlinie, wenn jemand vorsätzlich eine falsche Meldung abgibt oder grob fahrlässig etwas Unzutreffendes weitergibt. Dann kann sich der Hinweisgeber selbst schadensersatzpflichtig machen.

Von der EU-Richtlinie zum Hinweisgeberschutzgesetz

Die Mitgliedsstaaten der EU haben bis zum 17. Dezember 2021 Zeit, die EU-Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf schon Ende des Jahres 2020 vorgelegt. Das Hinweisgeberschutzgesetz, kurz HinSchG, soll das erste deutsche Gesetz werden, in dem es primär um den Schutz von Whistleblowern geht.

Der aktuelle Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes sieht wie die EU-Richtlinie interne und externe Hinweisgebersysteme vor. Hinweisgeber sollen sich namentlich oder anonym dort melden können. Weil sich die bisherige Regierungskoalition von Union und SPD allerdings bei manchen Punkten nicht einig geworden ist, liegt der Gesetzesentwurf derzeit auf Eis.

Der größte Streitpunkt ist eine geplante Ausweitung des Hinweisgeberschutzes im deutschen Gesetz. Die EU-Whistleblower-Richtlinie bezieht sich lediglich auf Verstöße gegen EU-Recht. In der SPD möchte man das Hinweisgeberschutzgesetz jedoch auf Verstöße gegen deutsches Recht ausweiten. In der Union sah man das anders – man möchte erklärtermaßen nicht über die Vorgaben der EU hinausschießen und Unternehmen stärker belasten als nötig.

Soll es im Hinweisgeberschutzgesetz nur um EU-Recht gehen?

Praktisch wäre es aber wohl schwierig, wenn das Hinweisgeberschutzgesetz auf EU-Recht begrenzt wäre. Woher soll ein Hinweisgeber genau wissen, ob es sich nun um einen Verstoß gegen EU-Recht oder deutsches Recht handelt? Und nach welcher Logik soll man zwar Verstöße gegen EU-Recht melden können, aber nicht gegen deutsche Gesetze – sind sie etwa weniger schützenswert?

Erschwerend hinzu kommt, dass Hinweisgebern Konsequenzen drohen könnten, wenn sie unwissentlich einen Verstoß gegen deutsches Recht melden, obwohl das durch das Hinweisgeberschutzgesetz nicht abgedeckt ist. Sie wären dann nicht vor Benachteiligung durch den Arbeitgeber geschützt. Das Hinweisgeberschutzgesetz auf EU-Recht zu beschränken würde für (potenzielle) Hinweisgeber erhebliche Unsicherheiten mit sich bringen und könnte dazu führen, dass Hinweisgebersysteme weniger genutzt werden.

Neben den inhaltlichen Differenzen der Regierungsparteien hat auch die Übergangszeit nach der Bundestagswahl im September dazu beigetragen, dass es kurz vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist noch immer kein deutsches Whistleblower-Gesetz gibt. Es ist aber damit zu rechnen, dass die neue Regierung das Gesetz schnell auf den Weg bringen wird – sonst droht Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren. In der Zwischenzeit können sich Hinweisgeber im Zweifelsfall auf die EU-Richtlinie berufen, wenn sie Hinweise abgeben.

Wer muss ein Hinweisgebersystem einführen?

Die Einführung von Hinweisgebersystemen soll laut EU-Richtlinie für private Unternehmen ab einer gewissen Größe und die öffentliche Verwaltung verpflichtend sein. Der Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums sieht vor, dass Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern ein Hinweisgebersystem einführen müssen, ebenso Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens zehn Millionen Euro. Außerdem sind alle Unternehmen im Finanzsektor ungeachtet ihrer Größe zur Einführung von Hinweisgebersystemen verpflichtet. Kommunen müssen Hinweisgebersysteme etablieren, wenn dort mehr als 10.000 Bürger leben.

Es muss dann Meldestellen für Missstände und Rechtsverstöße geben. Zusätzlich soll der Bund eine externe Meldestelle einrichten, und auch die Länder können solche Stellen ins Leben rufen. Hinweisgeber können sich dann an unternehmensinterne Hinweisgebersysteme wenden oder diese externen Meldesysteme nutzen, um ihre Informationen weiterzugeben.

Hinweisgebersysteme: Vor- und Nachteile im Überblick

Hinweisgebersysteme bringen für Hinweisgeber, Unternehmen, aber auch die Öffentlichkeit verschiedene Vor- und Nachteile mit sich. Welches die wichtigsten Punkte sind, die für beziehungsweise gegen Hinweisgebersysteme sprechen, erfährst du hier.

Vorteile von Hinweisgebersystemen

Für Hinweisgeber liegen die Vorteile von Hinweisgebersystemen auf der Hand: Sie sind, in Verbindung mit dem geplanten Hinweisgeberschutzgesetz, vor einer Benachteiligung durch Arbeitgeber geschützt. Das kann ihnen die nötige Sicherheit geben, Hinweise auf Rechtsverstöße weiterzugeben oder sogar öffentlich zu machen. Klare Regeln im Umgang mit einem Hinweisgebersystem schaffen auch rechtlich Klarheit für Hinweisgeber. Es wird leichter, einzuschätzen, was man tun darf und was nicht. Bislang können auch Anwälte häufig keine sichere Prognose darüber abgeben, ob ein Gericht im Einzelfall die Geheimhaltungsinteressen des Arbeitgebers oder das Offenlegungsinteresse des Arbeitnehmers stärker gewichten wird.

Hinweisgebersysteme können somit dazu führen, dass es mehr Hinweise auf Fehlverhalten gibt. Davon profitiert auch die Öffentlichkeit, um die es bei Rechtsverstößen indirekt und in manchen Fällen auch direkt geht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Missstände aufgedeckt und anschließend beseitigt werden, ist größer, wenn es Hinweisgebersysteme gibt.

Auch für Arbeitgeber können Hinweisgebersysteme Vorteile mit sich bringen. Wenn Arbeitgeber wissen, was in ihrem Unternehmen falsch läuft, können sie frühzeitig reagieren – vor allem, wenn sie ihren Mitarbeitern deutlich machen, dass Hinweise auf Rechtsverstöße und Missstände tatsächlich erwünscht sind. So erfahren sie, was nicht optimal läuft, und können sich gezielt verbessern. Eine entsprechend offene Kultur kann sich außerdem positiv auf die Mitarbeiterzufriedenheit, die Mitarbeiterbindung und das Arbeitsklima auswirken.

Nachteile von Hinweisgebersystemen

Nachteile können Hinweisgebersysteme vor allem für Arbeitgeber mit sich bringen. Das gilt zumindest für Unternehmen, die absichtlich und wissentlich Rechtsverstöße begehen – zum Beispiel, indem ständig gegen die gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeiten verstoßen wird, um nicht mehr Mitarbeiter einstellen zu müssen. Solche Unternehmen haben in der Regel kein Interesse daran, dass illegale Handlungen ans Licht kommen oder an Aufsichtsbehörden gemeldet werden. Wenn sich durch den Schutz eines Hinweisgeberschutzgesetzes mehr Arbeitnehmer trauen, entsprechende Meldungen zu machen, kann das solchen Arbeitgebern schaden.

Für Hinweisgeber und die Öffentlichkeit haben Hinweisgebersysteme hingegen keine Nachteile – zumindest, wenn sie mit einem hohen Hinweisgeberschutz verbunden sind und auch tatsächlich genutzt werden.

Bildnachweis: otnaydur / Shutterstock.com

VERWANDTE ARTIKEL

BEWERBUNG

Bewerbungsratgeber von Lebenslauf.de

Ratgeberwissen im Buchformat - Inklusive Gutscheincode

 

NEUE BEITRÄGE