Die meisten Menschen sind froh, wenn sie Konflikte vermeiden können. Denn ohne Streit und Auseinandersetzungen lebt es sich – auch im Job – leichter. Es gibt jedoch Personen, die selbst gegen kleinste Konflikte eine regelrechte Abneigung haben und diese um jeden Preis vermeiden wollen. Diese Personen nennt man konfliktscheu. Was das konkret bedeutet und welche negativen Folgen die Konfliktvermeidung haben kann, erfährst du hier.
Definition: Was bedeutet “konfliktscheu”?
Wenn dich ein Kollege oder Bekannter als konfliktscheu bezeichnet, meint er damit vermutlich, dass du Konflikten lieber aus dem Weg gehst. Statt diese offen auszutragen und nach einer Lösung zu suchen, vermeidest du lieber jede Konfrontation.
Das ist häufig ein Problem. Denn Menschen, die zur Konfliktvermeidung tendieren, warten in vielen Fällen zu lange ab, bis sie einen Sachverhalt ansprechen, der sie stört. Frust und Unmut häufen sich stetig an, bis das Fass überläuft. Emotionen, die sich explosionsartig und ungefiltert entladen, können die Folge sein.
Doch so ein Verhalten stößt bei Familie, Freunden und Kollegen meist auf wenig Gegenliebe. Wer wochenlang nichts dazu sagt, dass der Kollege Meier aus der anderen Abteilung nie seine Kaffeetasse in den Geschirrspüler räumt, kann nicht erwarten, dass Kollege Meier den Wutausbruch nachvollziehen kann.
Denn bevor es zu dieser Eruption kommt, hält sich der Konfliktscheue zurück. Sein Verhalten ist von großer Harmoniebedürftigkeit und Konfliktvermeidung geprägt. Konfliktscheue Personen räumen lieber immer wieder selbst die Kaffeetasse von Herrn Meier in die Spülmaschine und ärgern sich im Stillen darüber, statt ihn darauf hinzuweisen, dass er sich bitte um sein benutztes Geschirr kümmern sollte.
So eine offene Ansprache könnte allerdings dazu führen, dass sich Herr Meier vor den Kopf gestoßen fühlt und es zu einer offenen Auseinandersetzung kommt – der Super-GAU für Konfliktscheue.
Die Folgen der Konfliktvermeidung
Wer konfliktscheu ist, meint es im Prinzip nur gut. Er oder sie möchte um nahezu jeden Preis die Harmonie wahren und Streit vermeiden. Menschen, die sich am Arbeitsplatz konfliktscheu verhalten, möchten auf diese Weise zu einem besseren Betriebsklima beitragen. Sie möchten die Stimmung im Team verbessern, erreichen unter Umständen aber das Gegenteil.
Denn konfliktscheue Personen schaden letztlich sich und anderen. Zum einen treten sie nicht oder nur selten für ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele ein. Sie hüllen sich eher in Schweigen und finden sich damit ab, dass Dinge nicht so laufen, wie sie es sich vorstellen. Denn um die Dinge zu ändern, müssten sie ansprechen, dass sie aktuell nicht mit den Abläufen einverstanden sind – und das wiederum könnte einen Konflikt provozieren.
Also sagen konfliktscheue Personen lieber gar nichts und finden sich damit ab, dass die Situation ist, wie sie ist.
Konfliktvermeidung am Arbeitsplatz führt zu Konflikten
Dieses Verleugnen und Ignorieren der eigenen Wünsche führt dazu, dass sich bei konfliktscheuen Menschen langfristig einiger Frust anhäufen kann. Frust, der eigentlich zu vermeiden wäre, wenn man die Dinge direkt und offen ansprechen würde.
Herrn Meier ist vielleicht gar nicht bewusst, dass ein anderer Kollege jeden Tag seine Kaffeetasse wegräumt. Vielleicht geht er davon aus, dass sich die Reinigungskraft um seine Tasse kümmert? Wird er nach einigen Wochen jedoch von dem Wutanfall des konfliktscheuen Kollegen überrascht, der sich die ganze Zeit über darum gekümmert hat, die Kaffeetasse wegzuräumen, weiß er vermutlich nicht, wie ihm geschieht. Und aus einer Lappalie wird im schlechtesten Fall ein handfester Konflikt.
Denn wer mit einem Wutausbruch konfrontiert wird, reagiert oft mit Ablehnung. Vielleicht fängt Herr Meier sogar selbst an, sich lautstark zu verteidigen, weil er sich zu Unrecht beschuldigt sieht.
Das Ergebnis: Der Konfliktscheue vermeidet keinen Konflikt, sondern beschwört eine große Auseinandersetzung fast schon herbei. Hätte er rechtzeitig etwas gesagt, wäre es sehr wahrscheinlich nicht so weit gekommen.
Passiv-aggressives Verhalten statt offener Worte
Doch selbst wenn es nicht zu einer emotionalen Entladung kommt, leidet die Beziehung konfliktscheuer Menschen unter ihrer Unfähigkeit, Konflikte rechtzeitig auszutragen. Meist ist es nicht so, dass sie stoisch darüber hinwegsehen könnten, wenn die Verhaltensweisen anderer Personen sie stören. Konfliktscheue Personen sind zwar nicht in der Lage, diese Dinge rechtzeitig anzusprechen – genervt sind sie trotzdem.
Sie hoffen häufig darauf, dass ihre Mitmenschen von selbst auf die Idee kommen, dass sie etwas ändern sollten. Tun sie es nicht, können konfliktscheue Personen mit passiv-aggressivem Verhalten reagieren: Sie machen schnippische Andeutungen, lassen sich zu ironischen Kommentaren hinreißen oder reagieren nicht auf Fragen oder Wünsche ihrer Kollegen.
Auch dieses Verhalten konfliktscheuer Personen führt oft das Gegenteil von dem herbei, was diese eigentlich erreichen wollen. Denn statt Konflikte zu vermeiden, kann ihr Verhalten diese sogar noch verstärken.
Die Ursachen der Konfliktvermeidung
Die Gründe dafür, dass manche Menschen konfliktscheuer als andere sind, sind vielfältig. Einige Psychologen suchen die Ursache für die Konfliktvermeidung in der Kindheit der betroffenen Personen. Konfliktscheue Personen – so die Meinung der Psychologen – haben es während ihrer Sozialisation nicht gelernt, Streit und Auseinandersetzungen offen auszutragen.
Entweder wurden sie sofort von den Eltern bestraft, wenn sie es versucht haben, oder aber die Eltern selbst haben in entsprechenden Situationen einen eher destruktiven und konfliktvermeidenden Umgang gezeigt.
In vielen Fällen haben konfliktscheue Menschen die Eigenschaft gemein, dass sie sich nach Harmonie sehnen und daher Konflikte so gut wie möglich vermeiden wollen. Auch dieses Verhalten stammt häufig aus der Kindheit: Sie fürchten sich davor, Konflikte offen anzusprechen, weil sie dann weniger geliebt werden könnten.
Konfliktscheue überwinden: So kann es gelingen
Glücklicherweise geben die Wurzeln der Konfliktvermeidung einen Hinweis darauf, wie man am besten mit ihr umgeht. Allerdings liegen die Wurzeln des konfliktscheuen Verhaltens häufig in der Kindheit, was bedeutet kann, dass dieses tief verinnerlichte Verhalten schwierig zu ändern sein kann.
Daher gilt grundsätzlich: Wenn du unter deiner Konfliktscheu leidest und vielleicht sogar dein Umfeld mit deinem Verhalten belastest, solltest du dir professionelle Hilfe suchen. Ein Psychotherapeut zum Beispiel kann dir in vielen Fällen dabei helfen, dein Verhalten zu ändern und in Zukunft mehr Konfliktbewältigungskompetenz zu erlangen.
Denkst du dagegen, dass du zwar ein wenig konfliktscheu bist, es aber noch nicht allzu schlimm ist, kannst du die folgenden Tipps anwenden und beobachten, ob du dadurch offener mit Konflikten umgehst.
An der eigenen Einstellung arbeiten
Einigen konfliktscheuen Personen hilft es, wenn sie ihre grundsätzliche Einstellung zu Konflikten reflektieren. In vielen Fällen sind sie nämlich überzeugt, ein Konflikt sei automatisch etwas Negatives.
Wer sich jedoch bewusst macht, dass ein offen ausgetragener Konflikt – sofern man sich an die Regeln für wertschätzenden Umgang hält – durchaus positive Seiten haben und Probleme aus der Welt aus der Welt schaffen kann, mag diese Haltung ändern.
Statt die Folgen zu fürchten, die die offene Austragung eines Konflikts haben könnte, solltest du dich besser fragen, welche Konsequenzen drohen, wenn du es nicht tust. Lohnt es sich, die eigenen Emotionen bis zur Weißglut zu bringen?
Mache dir außerdem klar, dass du nicht auf jeden Konflikt unmittelbar reagieren musst. Du kannst ebenso gut abwarten und die Situation beobachten. Stört dich ein bestimmtes Verhalten jedoch immer mehr und merkst du, wie die Unzufriedenheit bei dir darüber wächst, solltest du die Dinge ansprechen.
Konstruktiven Umgang lernen
Wenn du deinem Kollegen mitteilen möchtest, dass dich sein Verhalten stört, ist ein wertschätzender Umgang im Gespräch das oberste Gebot.
Fällst du direkt mit der Tür ins Haus, könnte sich dein Kollege überrumpelt fühlen und unter Umständen ruppig reagieren. Überlege dir vorab besser, wie man Feedback wertschätzend formuliert, um Konflikte zu vermeiden.
Eine wichtige Regel der wertschätzenden Rückmeldung ist, dass du Ich-Botschaften verwenden solltest, wie zum Beispiel: „Herr Meier, mir ist aufgefallen, dass Sie manchmal Ihre Kaffeetasse auf der Spülmaschine stehen lassen. Ich räume sie häufig weg. Das ist kein Problem, wenn es nur hin und wieder vorkommt. In letzter Zeit muss ich das aber öfter machen. Sie würden mir sehr helfen, wenn Sie daran denken könnten, Ihre Kaffeetasse selbst in den Geschirrspüler einzuräumen.“
Rückmeldung trainieren
Anderen konfliktscheuen Menschen hilft es, wenn sie die Rückmeldung „im Trockenen“, also in einem kleinen Rollenspiel üben können. Frage deinen Partner oder einen guten Freund, ob er dir dabei hilft. Übe mit dieser Person, wie du Herrn Meier am besten mitteilst, dass er sich in Zukunft bitte selbst um seine Kaffeetasse kümmern möge.
Bildnachweis: pathdoc / Shutterstock.com