AllgemeinHindsight Bias: Definition, Bedeutung & Vorbeugung

Hindsight Bias: Definition, Bedeutung & Vorbeugung

„Ich hab’s ja gleich gesagt“ – wem dieser Satz über die Lippen geht, der ist womöglich Opfer des Hindsight Bias geworden. Man spricht auf Deutsch auch vom Rückschaufehler, wenn jemand glaubt, von Anfang an gewusst zu haben, wie etwas ausgeht. Was den Hindsight Bias auszeichnet, wie es dazu kommt und ob man verhindern kann, dass der Rückschaufehler auftritt – hier erfährst du es.

Was ist der Hindsight Bias?

„Ich habe dir ja gesagt, dass es so kommen würde.“ „Wusste ich’s doch!“ Oder auch: „War doch klar, dass das passieren würde.“ So oder so ähnlich kann es sich anhören, wenn es zu einem Hindsight Bias kommt. Auf Deutsch ist auch vom Rückschaufehler die Rede. Dabei handelt es sich um einen Urteilsfehler, bei dem die Betroffenen glauben, den Ausgang einer Situation schon im Vorfeld gewusst und zutreffend vorhergesagt zu haben. Erstmals untersucht wurde das Phänomen in den 1970er Jahren von dem US-amerikanischen Professor Baruch Fischhoff.

Die korrekte Prognose, von der die Betroffenen selbst ausgehen, gab es allerdings in vielen Fällen nicht. Stattdessen kommt es in der Rückschau zu einer kognitiven Verzerrung, durch die sich Menschen falsch erinnern. Sie glauben rückblickend nicht nur an ihre eigene korrekte Vorhersage, die es womöglich gar nicht gab, sondern überschätzen auch, wie absehbar der letztendliche Ausgang der Situation war. Im Nachhinein wirkt es so, als hätte es so kommen müssen, wie es gekommen ist.

Verzerrte Erinnerung an eigene Prognosen

Bei einem Hindsight Bias glauben die Betroffenen tatsächlich daran, dass sie die richtige Vorhersage getroffen haben. Lagen sie mit ihrer Prognose in Wahrheit daneben, wird das verdrängt und die Erinnerung so angepasst, dass sie zu den realen Entwicklungen passt. Dass es später oft so wirkt, als sei ein bestimmter Ausgang von vornherein unvermeidlich gewesen, hängt mit den neuen Informationen zusammen, die man im Vorfeld nicht hatte. Durch sie wird die gesamte Entwicklung in ein neues Licht gerückt. 

Bei einem Rückschaufehler unterscheidet man in der Psychologie drei Ebenen, die betroffen sein können: die Gedächtnisebene, die Glaubensebene und die Selbsteinschätzung. Ein Rückschaufehler kann laut Psychologie auf der Gedächtnisebene stattfinden. Man glaubt, den Ausgang einer Situation korrekt prognostiziert zu haben, ungeachtet davon, ob das tatsächlich so war.

Auch die Glaubensebene kann betroffen sein: Dann gehen Betroffene davon aus, dass der Ausgang der Situation unvermeidlich war – im Nachhinein wirkt alles schlüssig. Und zuletzt wirkt sich ein Rückschaufehler oft auf die Selbsteinschätzung einer Person aus, indem Betroffene sich und ihre Prognosefähigkeiten überschätzen.

Rückschaufehler: Beispiele

Wie der Hindsight Bias konkret aussehen könnte, zeigen die folgenden (fiktiven) Beispiele:

  • In einer Familie gibt es immer wieder Probleme, wodurch das Jugendamt immer wieder eingeschaltet wird. Schließlich kommt es durch das Verhalten der Eltern zu einer Tragödie – vielleicht wird das Kind misshandelt und schwer verletzt oder stirbt infolge von Verletzungen oder Vernachlässigung sogar. Nachträglich könnte es so wirken, als ob das Jugendamt hätte wissen müssen, dass es soweit kommen könnte.
  • Ein Mörder war zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal zu einem Verhör bei der Polizei. Weil es keine hinreichenden Indizien gegen ihn gab, ließ die Polizei ihn laufen. Seitdem hat er Morde begangen. Der Polizei könnte nun vorgeworfen werden, dass sie damals nicht gleich realisiert hat, mit wem sie es zu tun hat.
  • Es stellt sich heraus, dass ein Arbeitnehmer durch gefälschte Zeugnisse und Urkunden beruflich aufgestiegen ist. Im Nachhinein könnte den Verantwortlichen in den jeweiligen Unternehmen vorgeworfen werden, dass sie den Schwindel nicht durchschaut haben.

Gründe für den Hindsight Bias

Vom Hindsight Bias ist früher oder später wohl jeder Mensch betroffen, auch wenn er sich dieser Tatsache nicht bewusst ist. Kommt es zu einem Rückschaufehler, geschieht das in der Regel unbewusst. Die Betroffenen behaupten meist nicht wider besseres Wissen, dass sie eine andere Vorhersage getroffen haben, als sie tatsächlich getroffen haben. Sie glauben vielmehr tatsächlich, dass sie sich anders geäußert haben als es in Wahrheit der Fall war.

Es ist oft schwer, vorherzusagen, wie eine Situation ausgehen wird. Dafür gibt es in vielen Fällen zu viele Unbekannte: Es mangelt an Fakten und genügend Informationen, um eine halbwegs verlässliche Prognose abgeben zu können. An ihre Stelle treten Halbwissen und subjektive Interpretationen. Die Informationen, auf deren Basis eine Einschätzung abgegeben wird, müssen dabei nicht einmal stimmen. Kein Wunder also, dass Menschen mit ihren Prognosen so oft danebenliegen.

Neue Informationen überlagern alte Informationen

Hinterher ist man natürlich schlauer; man hat nun schließlich weitere Informationen zu einem bestimmten Sachverhalt. Dadurch erscheinen zurückliegende Geschehnisse in einem anderen Licht – der Eindruck kann schnell entstehen, dass ein bestimmter Verlauf unausweichlich war. Eingangs war das aber womöglich nicht so klar abzusehen. Die neuen Informationen, die Menschen nach und nach erhalten, überlagern die im Gehirn schon gespeicherten alten Informationen.

Dass das menschliche Gehirn dazu neigt, zeigt ein Experiment, in dem Versuchsteilnehmer gebeten wurden, zu schätzen, wie hoch der Pariser Eiffelturm ist. Danach wurde ihnen die tatsächliche Höhe des Bauwerks mitgeteilt. Als sie anschließend noch einmal nach ihrer eigenen, ursprünglichen Schätzung gefragt wurden, korrigierten sie diese in Richtung der korrekten Antwort. Dieser Versuch ist ein anschauliches Rückschaufehler-Beispiel und zeigt, wie verbreitet die kognitive Verzerrung ist.

Der Hindsight Bias kann auch dem Selbstschutz dienen. Wenn man mit einer Einschätzung danebenliegt, kann das das eigene Selbstbild bedrohen. Man wünscht sich, dass man Recht hatte – besonders, wenn der eigene Ruf auf dem Spiel steht, man sich vielleicht als Experte für ein bestimmtes Thema betrachtet.

Deshalb neigen Menschen, die viel Wert auf ihren Ruf und Status legen, mehr zum Rückschaufehler als andere. Dasselbe gilt, wenn jemand bestimmte Sachverhalte sehr dogmatisch sieht oder sich stark nach klaren, vorhersehbaren Strukturen sehnt. Auch in solchen Fällen können die Prozesse im Gehirn, die zum Hindsight Bias führen, unbewusst ablaufen.

Auswirkungen des Rückschaufehlers

Der Rückschaufehler kann hinderlich sein und für die Betroffenen, manchmal aber auch für Dritte negative Folgen haben. Nehmen wir an, es kommt im Arbeitsumfeld zu einem Hindsight Bias. Vielleicht bist du selbst betroffen, weil dich deine Erinnerung trügt. Die Folge: Du kannst aus deinen fehlerhaften Einschätzungen nicht lernen, wenn sie dir gar nicht bewusst sind.

Menschen, die später behaupten, sie hätten es ja schon von Anfang an gewusst, machen sich außerdem häufig unbeliebt bei anderen. Es kann für die Kollegen nervig sein, wenn jemand im Team immer wieder behauptet, er hätte gleich richtig gelegen, obwohl das gar nicht der Fall ist. Unter diesen Umständen kann auch das Betriebsklima belastet sein, Beziehungen können leiden und die Entstehung von Konflikten kann begünstigt werden.

Wer glaubt, dass er mit seinen Prognosen immer richtig liegt, neigt womöglich dazu, sich selbst zu überschätzen. Das kann im Job problematisch sein, weil dadurch abweichende Meinungen eher ignoriert werden. Es kann auch eher zu Fehlern kommen, die die eigene Leistung verschlechtern oder eine Belastung für das ganze Team sind.

Der Hindsight Bias bei Führungskräften

Besonders problematisch ist es, wenn Führungskräfte zum Rückschaufehler neigen. Ihr Verhalten und ihre Entscheidungen sind oft wesentlich folgenreicher als bei den Mitarbeitern. Durch das Machtgefälle zwischen Vorgesetzten und einfachen Mitarbeitern traut sich womöglich niemand, dem Chef zu sagen, dass er im Unrecht ist. Es kann auch sein, dass der Vorgesetzte Mitarbeitern die Schuld für etwas zuweist, das sie im Vorfeld nicht wissen konnten.

Auch abseits des Berufs kann der Rückschaufehler negative Auswirkungen haben, zum Beispiel im Privatleben. Hier sind dieselben negativen Folgen denkbar wie im Job, wenn jemand eine verzerrte Erinnerung hat – zum Beispiel für zwischenmenschliche Beziehungen.

Auch auf gesellschaftlicher Ebene kann der Hindsight Bias folgenreich sein. Ein Beispiel sind Verschwörungstheorien und engstirnige Ideologien. Der Rückschaufehler kann dazu führen, dass einzelne Sachverhalte aus dem Zusammenhang gerissen und miteinander verknüpft werden. So kann es rückwirkend so wirken, als sei eine bestimmte Entwicklung eindeutig, obwohl das nicht der Fall war. Solche Argumentationslinien können Ideologen mehr Zulauf bescheren und damit zu einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft beitragen.

Hindsight Bias: Wie kann man ihm vorbeugen?

Zum Rückschaufehler kommt es immer wieder. Manchmal ist das vergleichsweise harmlos, weil es keine nennenswerten Folgen für die Betroffenen oder ihr Umfeld hat. In anderen Fällen sind die Auswirkungen gravierender. Am besten wäre es natürlich, es käme gar nicht erst zu dem Urteilsfehler. Kann man der Entstehung von einem Hindsight Bias vorbeugen? Und was kann man gegen den Rückschaufehler tun?

Ganz verhindern lässt sich der Hindsight Bias nicht, schon deshalb, weil es den Betroffenen in aller Regel nicht bewusst ist, dass es zu einer kognitiven Verzerrung kommt. Trotzdem gibt es Dinge, die du dafür tun kannst, dass ein Rückschaufehler unwahrscheinlicher wird – oder, falls es doch dazu kommt, dass er weniger gravierende Folgen für dich und andere hat. Ganz grundlegend ist es wichtig, zu wissen, dass es zu einem Hindsight Bias kommen kann.

Wenn dir das bewusst ist, kannst du kritischer mit deinen Erinnerungen umgehen. Wenn es dann zu einer Situation kommt, in der du glaubst, es „von Anfang an gewusst“ zu haben, kannst du diese Annahme bewusst infrage stellen. Wusstest du es wirklich? Konntest du es überhaupt wissen, dass sich die Situation so entwickeln würde, wie sie sich entwickelt hat?

Ebenso wichtig ist es, dass du dir bewusst machst, dass viele Ereignisse keinesfalls so vorhersehbar waren, wie es im Nachhinein wirken mag. Sei vorsichtig, wenn es um Schuldzuweisungen geht. Was hinterher so eindeutig wirkt, war es in vielen Fällen vorher nicht. Du solltest niemanden vorschnell für etwas verurteilen, was dir vielleicht ganz genauso hätte passieren können. Das gilt natürlich auch, wenn andere dich von ihrem Urteil über einen Sachverhalt oder das Verhalten einer Person überzeugen möchten.

Bildnachweis: Andrei Korzhyts / Shutterstock.com

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