Wenn ein Arbeitnehmer im Laufe eines Jahres mindestens sechs Wochen erkrankt ist, muss der Arbeitgeber ihm ein betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten. In diesem Artikel erfährst du, ob die Teilnahme verpflichtend ist, was dich beim BEM-Gespräch erwartet und welche Maßnahmen im Rahmen eines Eingliederungsmanagements ergriffen werden können.
Was ist betriebliches Eingliederungsmanagement und wann muss es angeboten werden?
Betriebliches Eingliederungsmanagement – kurz BEM – ist ein Instrument, das Arbeitnehmern bei der Wiedereingliederung in ihre Arbeitstätigkeit helfen soll. Es kommt zum Einsatz, wenn ein Beschäftigter in einem Jahr insgesamt länger als sechs Wochen beziehungsweise 42 Kalendertage (30 Werktage) erkrankt war. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Erkrankung sechs Wochen am Stück gedauert hat oder ob ein Arbeitnehmer mehrfach erkrankt ist.
Die Grundlage für das betriebliche Eingliederungsmanagement findet sich in § 167 Absatz 2 des Neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Ein BEM-Verfahren hat das Ziel, längerfristig oder häufig erkrankte Beschäftigte perspektivisch wieder voll in ihre typischen Arbeitsabläufe zu integrieren und drohende Fehlzeiten möglichst zu verhindern.
Sobald ein Mitarbeiter für mindestens sechs Wochen pro Jahr erkrankt ist, müssen Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten. Das ist seit dem Jahr 2004 für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe verpflichtend. Die Pflicht, ein BEM-Verfahren anzubieten, erstreckt sich nicht nur auf Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigte, sondern auch Aushilfen, befristet Beschäftigte, Auszubildende, Werkstudenten oder Praktikanten. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Betroffenen seit mindestens sechs Monaten für den Arbeitgeber tätig sind.
Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmer auch schon früher zu einem BEM-Gespräch einladen, als es gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Einladung wird in der Regel schriftlich verschickt. Die Arbeitnehmer entscheiden selbst, wie sie auf die Einladung zur Teilnahme an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement reagieren. Für Arbeitgeber spricht auch abseits der gesetzlichen Pflicht viel dafür, längerfristig erkrankten Mitarbeitern BEM-Gespräche anzubieten. Ausfälle sind für Unternehmen teuer und können durch ein BEM-Verfahren teilweise verhindert oder zumindest verringert werden. Wenn Arbeitgeber einem Mitarbeiter krankheitsbedingt kündigen wollen, ist das außerdem ohne vorheriges BEM-Gespräch wenig aussichtsreich.
Wie läuft ein BEM-Gespräch ab?
Ein BEM-Verfahren findet nur statt, wenn der Arbeitnehmer dem zustimmt. Vorgesehen ist ein Gespräch, bei dem es darum geht, wie die Bedingungen für eine weitere Arbeitstätigkeit des Betroffenen verbessert werden können. Am BEM-Gespräch nehmen in jedem Fall der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber beziehungsweise dessen Vertreter teil. Das kann dazu führen, dass du mit einem Vertreter der Personalabteilung oder dem Beauftragten für betriebliches Eingliederungsmanagement sprichst.
Der Teilnehmerkreis des BEM-Gesprächs kann ausgeweitet werden, wenn du damit einverstanden bist. Involviert sein können etwa auch ein Mitglied des Betriebsrats, der ohnehin am Verfahren beteiligt sein muss, und weitere Personen, wenn das aufgrund ihrer Expertise sinnvoll ist. Das kann etwa den Betriebsarzt, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Vertreter der Schwerbehindertenvertretung, Vertreter von Krankenkasse oder Rentenversicherung oder behandelnde Ärzte betreffen.
Zu Beginn des BEM-Gesprächs wird dich der Arbeitgeber über die Ziele des BEM-Verfahrens aufklären. Im Zentrum des betrieblichen Eingliederungsmanagements steht die Frage, was helfen kann, die Krankheit zu überwinden. Wie kann die Arbeitsfähigkeit (vollständig) wiederhergestellt werden? Wie können künftige Ausfälle verhindert werden? Letztlich geht es darum, den Arbeitsplatz des betroffenen Mitarbeiters durch individuelle Anpassungen und Maßnahmen zu erhalten.
Welche Fragen stellen Arbeitgeber im BEM-Gespräch?
Viele Arbeitnehmer sind verunsichert, wenn sie eine Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement erhalten. Das hängt auch damit zusammen, dass die wenigsten wissen, welche Fragen ihnen im BEM-Gespräch gestellt werden können. Der Arbeitgeber wird versuchen, herauszufinden, wie man künftigen Erkrankungen vorbeugen kann. Typisch ist etwa die Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters etwas mit seinem Arbeitsplatz zu tun hat. Das könnte etwa durch Konflikte im Team oder mit dem Chef, die Arbeitsweise, Tätigkeiten und Vorgaben oder den Workload der Fall sein. Auch der Arbeitsplatz an sich kann dazu beitragen, dass eine Krankheit entstanden ist oder sich die Beschwerden verschlimmert hat.
Hat die Arbeitsunfähigkeit aus Sicht des Arbeitnehmers mit seinem Arbeitsplatz zu tun, muss der Arbeitgeber handeln und Abhilfe schaffen. Er muss Vorschläge des Arbeitnehmers oder vom Betriebsrat prüfen und darf sie nur in begründeten Fällen ablehnen.
Es kann sein, dass dich der Arbeitgeber beim BEM-Gespräch fragt, ob er etwas tun kann, um dir mit deiner Krankheit zu helfen. Dabei lohnt es sich, dir im Vorfeld Gedanken darüber zu machen, wie du wieder arbeitsfähig wirst. Womöglich fragt dich der Arbeitgeber, inwiefern deine persönlichen Umstände zu deiner Krankheit beitragen. Diese Frage musst du nicht beantworten. Nicht erlaubt sind Fragen des Arbeitgebers nach der konkreten Diagnose und den Ursachen für die Krankheit. Es ist also keinesfalls zwangsläufig so, dass der Arbeitgeber durch ein BEM-Verfahren erfährt, was du hast.
Der Arbeitgeber führt eine BEM-Akte
Ein BEM-Verfahren wird in einer speziellen BEM-Akte dokumentiert, die getrennt von deiner Personalakte aufbewahrt wird. In der Personalakte selbst darf nur stehen, ob du einem betrieblichen Eingliederungsmanagement zugestimmt oder die Einladung abgelehnt hast und gegebenenfalls, auf welche Maßnahmen zur Eingliederung ihr euch geeinigt habt. Falls du dem Arbeitgeber deine Diagnose mitgeteilt hast, wird diese in der BEM-Akte nicht aufgeführt. Es ist jedoch erlaubt, wenn der Arbeitgeber die Beeinträchtigungen aufschreibt, die du wegen deiner Krankheit im Job hast. Deine BEM-Akte ist vertraulich und du darfst sie auf Verlangen einsehen.
Nicht immer bleibt es bei einem BEM-Gespräch. Es kann Folgegespräche geben, in denen es darum geht, ob die Maßnahmen wirken oder nicht. Falls nötig, können sie angepasst werden. Nach dem Ende des BEM-Verfahrens bewertet der Arbeitgeber, wie erfolgreich es war.
Welche Maßnahmen können auf ein BEM-Verfahren folgen?
§ 167 Absatz 2 SGB IX gibt nicht vor, welche Maßnahmen mit einem betrieblichen Eingliederungsmanagement konkret verbunden sein können. Wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann, müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen eines BEM-Gesprächs individuell festlegen.
Welche Maßnahmen in einem BEM-Verfahren geeignet sind, hängt von der Art der Erkrankung des Mitarbeiters und ihren Auswirkungen ab. Es kann etwa nötig sein, den Arbeitsplatz anzupassen, damit eine weitere Arbeitstätigkeit möglich ist. Denkbar sind zum Beispiel ein höhenverstellbarer Tisch, an dem man auch stehend arbeiten kann, eine andere technische Ausstattung, andere Lichtverhältnisse oder ein Arbeitsplatz in einem ruhigeren Umfeld.
Auch flexiblere Arbeitszeiten können eine Maßnahme sein, die sich aus einem betrieblichen Eingliederungsmanagement ergibt. Der Arbeitgeber kann sich etwa darauf einlassen, dass der Beschäftigte bei Bedarf früher geht oder später kommt. Auch ein Eingliederungsmanagement in mehreren Stufen ist in der Praxis häufig.
Möglicherweise ist es nötig, die Arbeitsbelastung des Mitarbeiters zu verringern. Das kann beispielsweise geschehen, indem die Arbeit anders organisiert oder verteilt wird. Nicht immer kommt eine weitere Beschäftigung im eigentlichen Job des Beschäftigten infrage. Eine Kündigung kann umgangen werden, wenn man einen anderen Arbeitsplatz für den Betroffenen findet. Das kann mit einem Tätigkeitswechsel verbunden sein, der eine berufliche Qualifizierung erfordern kann.
Ist die Teilnahme an einem BEM-Gespräch Pflicht für Arbeitnehmer?
Für Arbeitgeber ist es unter den genannten Voraussetzungen verpflichtend, ein betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten. Arbeitnehmer müssen sich darauf jedoch nicht einlassen. Die Teilnahme an einem BEM-Gespräch ist freiwillig. Wer am BEM-Verfahren teilnimmt, muss den Vorschlägen des Arbeitgebers außerdem nicht zustimmen.
Wenn du zum betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen wirst, spricht jedoch viel dafür, hinzugehen. Aus Arbeitnehmersicht ist die Teilnahme sinnvoll. Ohne ein vorheriges betriebliches Eingliederungsmanagement ist es für Arbeitgeber schwer, eine krankheitsbedingte Kündigung durchzusetzen. Die Kündigung muss verhältnismäßig und das letzte Mittel sein. In einem Kündigungsschutzprozess wird das Arbeitsgericht ohne BEM-Verfahren wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass der Arbeitgeber nicht alle Optionen ausgeschöpft hat.
Gleichzeitig kann es deine eigenen Aussichten in einem Kündigungsschutzprozess mindern, wenn du einem BEM-Gespräch nicht zugestimmt hast. Damit hast du schließlich nicht alles getan, um deinen Arbeitsplatz zu erhalten. Außerdem unterlaufen vielen Arbeitgebern im betrieblichen Eingliederungsmanagement Fehler. Eine Untersuchung des DGB-Bildungswerks für die Jahre 2015 bis 2018 hat ergeben, dass sich vor allem kleine Betriebe mit der Umsetzung von BEM-Verfahren schwertun. Fehler im BEM-Verfahren können dazu führen, dass eine Kündigung wegen Krankheit unwirksam ist – ein Vorteil für Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess.
Du musst an einem BEM-Gespräch nicht alleine teilnehmen, sondern kannst eine Vertrauensperson mitnehmen. Dazu kann sich ein Mitglied des Betriebsrats anbieten.
Das BEM-Gespräch richtig nutzen: Tipps für Arbeitnehmer
Für Arbeitnehmer ist es empfehlenswert, an einem Eingliederungsmanagement teilzunehmen. Es kann sich lohnen, sich schon vor dem BEM-Gespräch von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten zu lassen. Mach dir vor dem Treffen mit dem Arbeitgeber Gedanken darüber, welche konkreten Maßnahmen dir in deiner Situation helfen könnten. Du kannst damit gezielt steuern, wie deine weitere Arbeitstätigkeit ausgestaltet wird. Nutze die Chance, die Arbeitsbedingungen zu deinen Gunsten zu verändern.
Im BEM-Gespräch solltest du möglichst wenig sagen. Gehe auf konstruktive Fragen deines Arbeitgebers im nötigen Umfang ein, etwa, wenn es um Ideen zur Beseitigung deiner Arbeitsunfähigkeit geht. Zu deiner Krankheit solltest du aber am besten ohne anwaltliche Beratung nichts sagen. Wenn du bestimmte Erkrankungen preisgibst, kann das das Risiko einer Kündigung durch den Arbeitgeber vergrößern. Das betrifft insbesondere schwerwiegende Erkrankungen, bei denen unwahrscheinlich ist, dass du bald wieder voll einsatzfähig bist. Auch Erkrankungen, die wahrscheinlich häufig zu Ausfällen führen, sind aus Sicht von Arbeitgebern problematisch – etwa Depressionen, Burnout oder eine Krebserkrankung.
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