Manche Arbeitgeber kontrollieren jeden Arbeitsschritt ihrer Mitarbeiter. Andere lassen ihren Beschäftigten mehr Freiheiten – zum Beispiel im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit. Dabei ist es den Arbeitnehmern überlassen, wann sie ihre Arbeit erledigen. Was zählt, ist das Ergebnis. Wie funktioniert Vertrauensarbeitszeit? Welche Vorteile und Nachteile bringt sie mit sich? Und ist sie überhaupt noch zulässig? Das und mehr klärt dieser Artikel.
Vertrauensarbeitszeit Definition: Was das Modell ausmacht
In den meisten Jobs läuft es so: Die Mitarbeiter kommen morgens zu einer bestimmten Zeit zur Arbeit, etwa um 9 Uhr. Dann arbeiten sie acht Stunden plus Mittagspause und gehen um 17.30 Uhr nach Hause. Jeden Tag. Kommen sie zu spät oder möchten sie früher gehen, müssen sie den Arbeitgeber um Erlaubnis bitten. Ansonsten würde ihm negativ auffallen, dass ein Mitarbeiter während seiner vorgesehenen Arbeitszeiten nicht anwesend ist.
Andere Arbeitszeitmodelle sind flexibler. Dazu gehört das Modell Vertrauensarbeitszeit. Wie bei anderen Beschäftigungsverhältnissen einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer dabei auf ein bestimmtes wöchentliches Arbeitspensum, das verbindlich für die Beschäftigten ist. Wann sie wie lange arbeiten, können die Mitarbeiter jedoch selbst entscheiden. Manchmal gibt es Kernarbeitszeiten, zu denen alle anwesend sein müssen, oder einen anderen zeitlichen Rahmen, in dem die Arbeit erledigt werden muss. Ansonsten legen Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit bei Vertrauensarbeitszeit eigenständig fest.
Sie können sich entschließen, morgens schon sehr früh ins Büro zu kommen oder abends relativ lange zu bleiben. Sie können zwischendurch eine ausgedehnte Mittagspause machen oder nachmittags für einige Stunden etwas erledigen. Selbst freie Tage sind bei Vertrauensarbeitszeit denkbar, wenn die Arbeit an anderen Tagen erledigt wird.
Bei Vertrauensarbeitszeit zählt das Ergebnis
Den Chef stört es nicht, solange das Ergebnis stimmt. Genau darauf kommt es bei Vertrauensarbeitszeit nämlich an. Der Arbeitgeber bringt den Beschäftigten Vertrauen entgegen, dass sie ihre Arbeit schon erledigen werden. Er überlässt ihnen, wie sie ihre Arbeit organisieren. Gleichzeitig treffen beide Seiten Zielvereinbarungen, über die der Fortschritt der Arbeit überprüft werden kann. Ein Mitarbeiter weiß dann etwa, dass er zum Zeitpunkt X ein bestimmtes Projekt fertiggestellt haben muss. Die Zielvereinbarungen können sich auch auf Zwischenschritte bei bestimmten Aufgaben beziehen.
Oft sind die Beschäftigten auch bei der Wahl ihres Arbeitsorts flexibel; vielfach ist zumindest teilweise Home-Office möglich. Ein einzelner Arbeitstag muss bei Vertrauensarbeitszeit nicht die üblichen acht Stunden umfassen, sondern kann auch kürzer oder länger sein. So können sich Schwankungen bei der täglichen Arbeitszeit ergeben. Insgesamt müssen Arbeitnehmer auf ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit kommen.
Die Modalitäten der Vertrauensarbeitszeit sind im Normalfall im Arbeitsvertrag oder einer Betriebsvereinbarung festgelegt. Dadurch wissen beide Seiten, welche Rechte und Pflichten mit der Vertrauensarbeitszeit jeweils einhergehen.
Rechte und Pflichten, an die Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich bei Vertrauensarbeitszeit halten müssen
Wie bei jedem Arbeitsverhältnis haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch bei der Vertrauensarbeitszeit bestimmte Rechte und Pflichten. Die Hauptpflicht des Arbeitnehmers ist die Erfüllung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung. Er muss sich an diese Vorgaben halten und die festgelegte Arbeitszeit beachten, wenn er seine Arbeitswoche individuell einteilt. Bei Vertrauensarbeitszeit ist der Arbeitnehmer für die Organisation seiner Arbeit verantwortlich. Er muss sicherstellen, dass er die gesteckten Ziele erreicht.
Zu den Pflichten des Arbeitgebers gehört es umgekehrt, seine Mitarbeiter zu schützen. Er hat eine Fürsorgepflicht und Schutzverantwortung, der er nachkommen muss. Dazu gehört, sicherzustellen, dass die Beschäftigten nicht gegen Arbeitszeitgesetze verstoßen oder gesetzliche Ruhezeiten unterlaufen werden.
Vertrauensarbeitszeit: Überstunden durch Zeiterfassung vorbeugen
Bei Vertrauensarbeitszeit können Überstunden ein Problem sein. Das kann daran liegen, dass Mitarbeiter ohne feste Arbeitszeiten schlicht den Überblick darüber verlieren, an welchen Tagen sie wie lange gearbeitet haben. Durch eine gewissenhafte Vertrauensarbeitszeit-Zeiterfassung kann dem vorgebeugt werden. Zu Überstunden kann es bei Vertrauensarbeitszeit auch kommen, wenn durch die Zielvorgaben ein hoher Druck auf den Angestellten lastet. Wer ohnehin häufig aus dem Home-Office arbeitet, antwortet wahrscheinlich eher noch abends vom Sofa aus auf eine eintreffende Mail oder bereitet eine Präsentation für den nächsten Tag vor. Dadurch können Erholungsphasen unterlaufen werden.
Bei Vertrauensarbeitszeit ist Zeiterfassung wichtig. Dazu sind Arbeitgeber verpflichtet, um Überstunden vorzubeugen. Arbeitnehmer oder Arbeitgeber können die Arbeitszeiten händisch notieren, manchmal können sie auch über eine App oder die Login-Zeiten auf dem Server nachvollzogen werden. Welche Variante gewählt wird, hängt von der Vereinbarung mit dem Arbeitgeber ab.
Pro Woche dürfen Arbeitnehmer im Normalfall höchstens 48 Stunden arbeiten. Die übliche tägliche Höchstarbeitszeit beträgt acht Stunden. Ausnahmsweise dürfen Arbeitnehmer auch bis zu zehn Stunden am Tag – und damit 60 Stunden in der Woche – arbeiten. Das muss jedoch innerhalb der folgenden sechs Monate auf einen Schnitt von 48 Wochenstunden ausgeglichen werden. Nach der Arbeit haben Beschäftigte das Recht dazu, sich zu erholen. Dafür gibt es die gesetzliche Ruhezeit zwischen zwei Schichten. Sie beträgt im Normalfall elf Stunden, kann in manchen Bereichen aber verkürzt sein. Das gilt etwa in Krankenhäusern oder in der Pflege.
Vor- und Nachteile von Vertrauensarbeitszeit
Nicht nur bei vielen Arbeitnehmern, auch bei vielen Arbeitgebern ist das Arbeitsmodell Vertrauensarbeitszeit beliebt. Es bringt jedoch nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile mit sich.
Vorteile von Vertrauensarbeitszeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Für Arbeitnehmer kann es belastend sein, wenn der Arbeitgeber sie (scheinbar) auf Schritt und Tritt kontrolliert. Ein hohes Maß an Kontrolle suggeriert, dass der Arbeitgeber seinen Angestellten wenig vertraut. Er glaubt nicht an sie – jedenfalls nicht, wenn er nicht stets prüfend hinter ihnen steht.
Bei Vertrauensarbeitszeit ist das anders. Der Arbeitgeber signalisiert: Ihr macht das schon. Ich überlasse euch, wie ihr euch organisiert. Das kann zu einem Motivationsschub für Mitarbeiter führen. Sie fühlen sich bei Vertrauensarbeitszeit eher wertgeschätzt und sind in der Folge oft zufriedener mit ihrem Job. Mehr Zufriedenheit reduziert wiederum die Ausfallzeiten und kann zu höheren Leistungen beflügeln. Dadurch kann durch Vertrauensarbeitszeit die Produktivität steigen.
Vertrauensarbeitszeit kann die Work-Life-Balance verbessern
Mitarbeiter, die mehr erreichen, können schneller Karriere machen. Arbeitgeber profitieren auch finanziell von einer erhöhten Produktivität. Sie kann ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein und die Stellung des Unternehmens am Markt festigen oder verbessern. Oft kommt Vertrauensarbeitszeit der Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber zugute. Das kann das Betriebsklima verbessern, was im Umkehrschluss dazu beiträgt, dass Mitarbeiter gerne zur Arbeit gehen. Auch ihr unternehmerisches Denken kann durch Vertrauensarbeitszeit gestärkt werden. Mitarbeiter bringen sich womöglich stärker ein und übernehmen mehr Verantwortung.
Ein weiterer Vorteil der Vertrauensarbeitszeit für Arbeitnehmer liegt auf der Hand: Sie können sich ihre Arbeitstage selbst einteilen. Sie müssen niemanden um Erlaubnis bitten, wenn sie früher gehen oder später kommen möchten – abgesehen höchstens von Kernarbeitszeiten, die es geben kann. Ansonsten können sie Arzttermine flexibel planen, ihr Kind problemlos aus der Kita holen oder schlicht entscheiden, sich nachmittags zum Kaffee mit Freunden zu treffen. Solange die vorgesehene wöchentliche Arbeitszeit eingehalten wird, ist das kein Problem. Diese Freiheit kommt nicht zuletzt der Work-Life-Balance zugute.
Nachteile von Vertrauensarbeitszeit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Die Vertrauensarbeitszeit hat vielfältige Vorteile für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Das müsste sie doch zum idealen Arbeitsmodell machen, oder? Nicht unbedingt, denn in der Praxis können sich verschiedene Hindernisse ergeben. Arbeitgeber müssen bei Vertrauensarbeitszeit Kontrolle abgeben. Sie müssen darauf vertrauen, dass ihre Beschäftigten ihren Job wie vorgesehen machen. Ob sie ihre vertraglich vereinbarten Stunden erfüllen, wissen Arbeitgeber aber oft nur begrenzt – vor allem, wenn die Mitarbeiter im Home-Office tätig sind.
Das geringe Maß an Kontrolle bei Vertrauensarbeitszeit kann nicht nur Arbeitszeitmissbrauch bedingen. Es kann auch dazu führen, dass die Beschäftigten ihre Aufgaben nicht rechtzeitig erledigen. Vertrauensarbeitszeit funktioniert nur, wenn Arbeitnehmer sich gut organisieren können. Sie haben nicht länger jemanden, der ihnen Schritt für Schritt vorgibt, was sie zu erledigen haben. Die Planung müssen sie selbst übernehmen. Nicht jeder Beschäftigte kann das. Wer kein guter Organisator ist, stellt womöglich erst kurz vor dem Erreichen einer Deadline fest, dass er es nicht schaffen wird. Das baut Druck beim Mitarbeiter auf und löst wahrscheinlich Stress aus. Der Arbeitgeber hat ebenfalls Nachteile, wenn seine Beschäftigten ihre Ziele nicht rechtzeitig erreichen.
Unrealistische Zielvorgaben können für Druck sorgen
Ein Problem bei Vertrauensarbeitszeit können unrealistische Zielvorgaben sein. Vor allem, wenn die Ziele weit im Voraus festgelegt werden, kann es passieren, dass sie kaum zu erreichen sind. Viele Arbeitnehmer können dies im Vorfeld ebenso wenig treffsicher einschätzen wie Arbeitgeber. Stellt sich heraus, mit welcher unerwarteten Arbeitsbelastung die Vereinbarung mit dem Chef einhergeht, trauen sich viele Beschäftigte nicht, noch einmal das Gespräch zu suchen. Viele Überstunden und eine hohe psychische Belastung können die Folgen sein. Das kann krank machen – ein möglicher Nachteil von Vertrauensarbeitszeit, der indirekt auch Arbeitgeber betrifft. Fehlzeiten verringern schließlich die Produktivität.
Ein weiterer Nachteil der Vertrauensarbeitszeit: Die Absprache innerhalb der Teams und zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern kann erschwert sein. Wenn jeder Beschäftigte arbeitet, wann er will – und womöglich nie dieselben Arbeitszeiten hat –, können direkte Gespräche schwierig werden. Auch der Zusammenhalt im Team kann leiden, wenn sich manche Angestellte gar nicht regelmäßig zu Gesicht bekommen. Nicht zuletzt ist Vertrauensarbeitszeit in manchen Bereichen und Tätigkeitsfeldern gar nicht umsetzbar. Das betrifft besonders Jobs, in denen die Mitarbeiter ständig für Kunden und andere Ansprechpartner erreichbar sein müssen. Auch in der Produktion können die Beschäftigten nicht frei entscheiden, wann sie anwesend sein möchten.
Ist Vertrauensarbeitszeit noch zulässig? Die Folgen des EuGH-Urteils
Ist Vertrauensarbeitszeit überhaupt noch möglich? Diese Frage kommt seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Mai 2019 immer wieder auf (14. Mai 2019, C-55/18). Damals hat das Gericht geurteilt, dass Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten genau erfassen müssen, und zwar nicht nur in Bezug auf Überstunden. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung betrifft laut EuGH nicht nur den „eigentlichen“ Arbeitstag, etwa eine Arbeitstätigkeit von 9 bis 17 Uhr, sondern auch jegliches Arbeiten außerhalb dieser Zeiten. Wenn ein Arbeitnehmer noch nach Feierabend einen Anruf entgegennehmen muss, gilt das als Arbeitszeit. Dasselbe ist der Fall, wenn ein Beschäftigter noch von zuhause aus Mails beantwortet oder Aufgaben erledigt, die mit dem Job in Verbindung stehen.
Das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung soll einer Überlastung von Arbeitnehmern durch viele nicht erfasste Überstunden vorbeugen. Stärker als vorher sind Arbeitgeber nun in der Pflicht, nachzuweisen, wann ihre Angestellten gearbeitet haben. Bei Vertrauensarbeitszeit kann das ein Problem sein, weil die Arbeitszeiten schwanken und sie entsprechend schlechter nachzuvollziehen sein können. Auch für den Betriebsrat kann es schwierig sein, zu prüfen, ob die Mitarbeiter sich an das Arbeitszeitgesetz halten.
Zu hohe Hürden für Vertrauensarbeitszeit?
Viele Arbeitgeber empfinden den bürokratischen Aufwand, der aus dem EuGH-Urteil folgt, als zu hoch. Das kann dazu führen, dass Vertrauensarbeitszeit weniger genutzt wird. Wenn die Arbeitszeit der Beschäftigten gewissenhaft erfasst wird, ist das Modell aber theoretisch trotzdem umsetzbar. Bei Vertrauensarbeitszeit kann die Zeiterfassung etwa über eine App vonstatten gehen. Das ist für Mitarbeiter leicht und für Arbeitgeber leicht zu kontrollieren. Dass der Arbeitgeber die Arbeitszeiterfassung an seine Mitarbeiter überträgt, ist auch nach dem EuGH-Urteil erlaubt – solange es sich um ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ handelt. Bei der elektronischen Arbeitszeiterfassung hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, das gilt jedoch nicht für nicht-technische Lösungen der Zeiterfassung. Es kann auch sein, dass bestehende Betriebsvereinbarungen überarbeitet werden müssen.
Die Debatte um eine weitere Machbarkeit der Vertrauensarbeitszeit verdeckt, dass Arbeitgeber auch schon vor dem EuGH-Urteil dazu verpflichtet waren, Überstunden ihrer Mitarbeiter gewissenhaft zu erfassen. Auch der Betriebsrat hatte schon vorher das Recht, Auskunft über die Arbeitszeiten der Beschäftigten zu verlangen. Arbeitszeiten nicht zu erfassen, weil Vertrauensarbeitszeit eingeführt wurde, war auch bisher nicht zulässig.
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