Wenn eine betriebliche Übung entstanden ist, haben Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung oder ein Verhalten des Arbeitgebers. Ihre Rechte werden dadurch gestärkt. In welchen Fällen kann sich eine betriebliche Übung ergeben? Welche Voraussetzungen sieht das Arbeitsrecht für betriebliche Übung vor? Und was kann der Arbeitgeber tun, um betriebliche Übung zu verhindern? Das und mehr erfährst du hier.
Betriebliche Übung im Arbeitsrecht: Was ist das?
Aus einer bestimmten Vorgehensweise des Arbeitgebers kann eine betriebliche Übung entstehen, die mit einem Rechtsanspruch für Beschäftigte einhergeht. Betriebliche Übung ist im Arbeitsrecht ein freiwilliges Verhalten des Arbeitgebers, das dieser regelmäßig wiederholt. Es ist als Vertragsangebot des Arbeitgebers zu werten, welches der Arbeitnehmer stillschweigend annimmt. Das entspricht einer Annahme ohne Erklärung nach § 151 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Der Arbeitnehmer kann nach einer gewissen Zeit davon ausgehen, dass eine bestimmte Zahlung auch künftig geleistet wird oder ein bestimmtes Verhalten vom Arbeitgeber auch weiterhin geduldet wird. Weil die betriebliche Übung einen Rechtsanspruch bedingt, können Arbeitnehmer die Leistung oder Verhaltensweise des Arbeitgebers auch juristisch einklagen, wenn betriebliche Übung entstanden ist. Der Arbeitgeber kann die betriebliche Übung dann nicht mehr einseitig widerrufen.
Wann kommt es zu einer betrieblichen Übung im Arbeitsrecht?
Weil die betriebliche Übung im Arbeitsrecht nicht abschließend geregelt ist, hängt es von den Umständen im Einzelfall ab, wann es zu einer betrieblichen Übung kommt. Die Voraussetzungen für die Entstehung von betrieblicher Übung werden außerdem durch die Urteile des Bundesarbeitsgerichts geformt.
Grundsätzlich kann es zu betrieblicher Übung kommen, wenn der Arbeitgeber sich in regelmäßigen Abständen gleich verhält. Er kann etwa regelmäßig eine bestimmte Zahlung an seine Mitarbeiter leisten oder ein bestimmtes Verhalten der Mitarbeiter mehrfach in Folge dulden. Dieses Verhalten des Arbeitgebers ist die Grundlage von betrieblicher Übung. Gleichzeitig kann ein Rechtsanspruch für Arbeitnehmer nur entstehen, wenn sich ein Anspruch beim jeweiligen Sachverhalt nicht bereits durch eine andere Regelung ergibt, etwa durch die Bestimmungen des Arbeitsvertrags, eine Betriebsvereinbarung, Gesetze oder Tarifverträge.
Betriebliche Übung setzt eine Regelmäßigkeit der jeweiligen Handlung des Arbeitgebers voraus. Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zufolge sind drei Jahre dafür ausreichend – vorausgesetzt, der Arbeitgeber hat sich Jahr für Jahr gleich verhalten. Im Einzelfall kann sich betriebliche Übung jedoch auch schon früher oder erst später ergeben. Es darf außerdem keinen gültigen Freiwilligkeitsvorbehalt geben, mit dem der Arbeitgeber einen Rechtsanspruch aufgrund von betrieblicher Übung ausschließt. Wäre das der Fall, könnte keine betriebliche Übung entstehen.
Beispiele: In welchen Fällen kann sich betriebliche Übung ergeben?
Ein typisches Beispiel für Ansprüche von Beschäftigten, die sich aus betrieblicher Übung ergeben können, betrifft die Zahlung von Urlaubsgeld oder Weihnachtsgeld. Auch andere Sonderzahlungen, Prämien und Boni können Arbeitnehmer erwarten, wenn der Arbeitgeber sie mehrfach in Folge wiederholt und so eine betriebliche Übung entsteht. Regelmäßige Gehaltserhöhungen können ebenfalls zur Gewohnheit werden und einen Rechtsanspruch bedingen.
Mitunter geht es bei betrieblicher Übung auch um Zuschüsse des Arbeitgebers – zum Beispiel zur Kinderbetreuung, Fahrtkosten, dem Ticket für den öffentlichen Nahverkehr oder zum Mittagessen. Aus der wiederholten Bereitstellung von Gutscheinen durch den Arbeitgeber kann sich für Arbeitnehmer ebenfalls ein Rechtsanspruch ergeben, wenn eine betriebliche Übung entstanden ist. Dasselbe gilt für die Übernahme bestimmter Kosten durch den Arbeitgeber.
Betriebliche Übung betrifft nicht nur finanzielle Angelegenheiten
Längst nicht immer geht es bei betrieblicher Übung ausschließlich um finanzielle Angelegenheiten. Eine betriebliche Übung kann auch bestimmte Verhaltensweisen der Beschäftigten betreffen, die der Arbeitgeber wiederholt geduldet hat. Beispiele hierfür wären etwa eine private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit, Pausenregelungen oder Vorgehensweisen im Krankheitsfall.
Die Arbeitszeiten der Mitarbeiter sind häufig im Arbeitsvertrag geregelt. Sie können jedoch auch durch die Gewohnheiten im Unternehmen beeinflusst werden. Eine betriebliche Übung bei der Arbeitszeit kann insbesondere den Umgang mit Überstunden betreffen. Nicht immer ist im Arbeitsvertrag abschließend geklärt, ob Überstunden ausbezahlt werden oder ob ein Freizeitausgleich gewährt wird. In solchen Fällen ergibt sich häufig eine betriebliche Übung, an die sich der Arbeitgeber dann auch weiterhin halten muss. Das kann auch Zuschläge für Überstunden betreffen. Werden sie regelmäßig gezahlt, kann der Arbeitgeber nicht ohne Weiteres von dieser Praxis abweichen.
Weitere Beispiele, in denen sich eine betriebliche Übung ergeben kann, betreffen die Freistellung von Beschäftigten an bestimmten Tagen, Modalitäten bei der Vergabe von Dienstwagen oder die freiwillige Anwendung bestimmter Tarifverträge.
Betriebliche Übung verhindern: Was dürfen Arbeitgeber?
Ist eine betriebliche Übung entstanden, geht sie mit einem Rechtsanspruch für Arbeitnehmer einher – ein Nachteil für Arbeitgeber. Aus einer ursprünglich freiwilligen Leistung wird dann eine Pflicht für den Arbeitgeber, bestimmte Zahlungen weiterhin zu leisten oder ein bestimmtes Verhalten zu dulden. Deswegen sind viele Arbeitgeber darauf bedacht, betriebliche Übung gar nicht erst entstehen zu lassen. Doch was können Arbeitgeber tun, um betriebliche Übung zu verhindern?
Keine Regelmäßigkeit entstehen lassen
Eine einfache Möglichkeit, die Entstehung einer betrieblichen Übung zu verhindern, besteht für Arbeitgeber darin, keine Regelmäßigkeit entstehen zu lassen. Wenn sie etwa nicht jedes Jahr Weihnachtsgeld zahlen, ergibt sich auch kein Rechtsanspruch darauf für die Beschäftigten. Es ist dann zum Beispiel denkbar, dass eine bestimmte Leistung von Zeit zu Zeit ausgesetzt wird oder sie von vornherein unregelmäßig gewährt wird.
Unterschiedliche Leistungen gewähren
Auch durch eine Variation von Sonderzahlungen und Leistungen kann betriebliche Übung verhindert werden. Das wäre etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber in einem Jahr Weihnachtsgeld zahlt, im nächsten Jahr Urlaubsgeld und anschließend wieder Weihnachtsgeld. Die Unterschiede bei einer Leistung dürfen allerdings nicht nur die Höhe einer Zahlung betreffen. Fällt etwa das Weihnachtsgeld jedes Jahr etwas anders aus, kann das eine betriebliche Übung nicht verhindern. Das hat das Bundesarbeitsgericht mit einem Urteil im Jahr 2015 entschieden.
Betriebliche Übung durch einen Freiwilligkeitsvorbehalt ausschließen
Arbeitgeber, die nicht wollen, dass sich eine betriebliche Übung ergibt, nutzen häufig einen Freiwilligkeitsvorbehalt. Dieser kann etwa im Arbeitsvertrag formuliert sein oder dem Beschäftigten in einem Schreiben zusammen mit einer Leistung übermittelt werden. Ob ein Freiwilligkeitsvorbehalt die Entstehung von betrieblicher Übung verhindern kann, hängt jedoch vom genauen Wortlaut ab. Viele Formulierungen sind nicht eindeutig genug und deshalb unwirksam.
Wichtig ist nach der aktuellen Rechtsprechung, dass durch die Formulierung unmissverständlich klar wird, dass es sich um eine freiwillige Leistung handelt, durch die sich kein künftiger Rechtsanspruch ableitet. Der Arbeitgeber kann etwa schreiben, dass eine bestimmte Leistung keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet. Er kann auch darlegen, dass eine Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt. Denkbar ist ebenso, dass der Arbeitgeber davon spricht, bestimmte Leistungen gewähren zu können, um eine betriebliche Übung auszuschließen. Im Zweifel ist es sinnvoll, die entsprechende Formulierung von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht prüfen zu lassen.
Dürfen neue Mitarbeiter von der betrieblichen Übung ausgeschlossen werden?
Es ist für Arbeitgeber möglich, auszuschließen, dass eine betriebliche Übung auch für neue Mitarbeiter gilt. Das erfordert jedoch eine eindeutige Regelung im Arbeitsvertrag. Gibt es eine solche Regelung nicht, haben grundsätzlich auch neu eingestellte Mitarbeiter Anspruch auf bestimmte Zahlungen, Leistungen oder Verhaltensweisen des Arbeitgebers, die sich aus betrieblicher Übung ergeben haben.
Betriebliche Übung widerrufen: Was ist zulässig?
Sobald eine betriebliche Übung entsteht, kann der Arbeitgeber sie nicht mehr einseitig widerrufen. Es ist in einer solchen Situation für den Arbeitgeber schwer, die betriebliche Übung aufzuheben – unmöglich ist es allerdings nicht. In jedem Fall benötigt er die Zustimmung seiner Beschäftigten. Er kann sich mit ihnen schriftlich darauf einigen, die betriebliche Übung aufzuheben. Falls ein Mitarbeiter einer entsprechenden Bitte nicht nachkommt, bleibt oft nur noch die Möglichkeit einer Änderungskündigung.
Bei einer Änderungskündigung kündigt der Arbeitgeber zwar formell das Arbeitsverhältnis. Mit ihr geht jedoch das Angebot einher, die Zusammenarbeit unter veränderten Voraussetzungen fortzusetzen – in diesem Fall betrifft das den Verzicht auf die Leistung, auf die durch betriebliche Übung ein Rechtsanspruch bestand. Falls der Arbeitgeber sich für diese Option entscheidet, muss er sicherstellen, dass die Änderungskündigung alle geltenden Voraussetzungen erfüllt. Zugleich besteht das Risiko, dass der Mitarbeiter die Änderungskündigung nicht annimmt und aus dem Unternehmen ausscheidet.
Nicht sinnvoll ist es für Arbeitgeber, darauf zu hoffen, dass sich schon kein Arbeitnehmer beschweren wird, wenn eine bestimmte Leistung nicht mehr gewährt wird. Zwar kann es tatsächlich sein, dass sich kein Mitarbeiter unmittelbar auf seinen Rechtsanspruch beruft. Dieser Rechtsanspruch besteht jedoch weiterhin. Die Beschäftigten können ihn auch zu einem späteren Zeitpunkt juristisch geltend machen.
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