Eigentlich könnte es gut laufen im Job – wenn da nicht der Chef wäre, der nicht entscheidungsfreudig ist, unklar kommuniziert oder für schlechte Stimmung im Büro sorgt? Statt eine suboptimale Situation im Job auszusitzen, hast du die Möglichkeit, die Lage zu verbessern, indem du subtil Einfluss auf deinen Vorgesetzten nimmst. Das nennt sich Cheffing oder Führung von unten und ermöglicht es dir, das Verhalten deines Chefs ein Stück weit zu steuern. Doch wie geht es? Und wie sinnvoll ist es?
Cheffing: Was steckt hinter der Führung von unten?
Ein guter Chef kann sein Team zu Höchstleistungen beflügeln. Er kann das Betriebsklima positiv beeinflussen, Abläufe optimieren und die Produktivität steigern. Doch längst nicht jeder, der eine Führungsposition innehat, bringt tatsächlich die besten Eigenschaften hierfür mit.
Manche Chefs tun sich mit der Führung schwer, oder sie führen so rigide, dass ihren Mitarbeitern kaum Luft zum Atmen bleibt. Bei anderen hapert es mit der Kommunikation, was zur Folge hat, dass die Mitarbeiter nicht eindeutig wissen, was von ihnen erwartet wird. Ein schlechter Chef kann nicht das Beste aus seinem Team herausholen. Im Gegenteil: Viele Angestellte sind demotiviert, wenn es – in welcher Form auch immer –Probleme mit dem Vorgesetzten gibt. Darunter leidet oft die Leistung des ganzen Teams. Oft bleibt nur die Kündigung, um die Situation zu lösen.
Eine passive Reaktion auf einen Chef mit Mängeln ist jedoch nicht die einzige Option. Du kannst auch versuchen, deinen Chef subtil zu beeinflussen – durch Führung von unten, auch bekannt als Cheffing. Das denglische Kunstwort bezeichnet Maßnahmen, die vom Mitarbeiter ausgehen und den Chef in eine bestimmte Richtung lenken sollen. So kann das Verhalten des Vorgesetzten bei Bedarf aktiv, aber sanft korrigiert werden.
Das Konzept des Cheffings hat viele Überschneidungen mit der lateralen Führung. Damit ist eine Führung ohne Vorgesetztenposition gemeint. Die Führung geht von Mitarbeitern aus, die eigentlich keine tatsächliche Macht haben, die aber ein – beabsichtigtes oder unbeabsichtigtes – Machtvakuum besetzen und dadurch Einfluss ausüben.
Führung von unten findet in vielen Fällen verdeckt statt. Cheffing kann jedoch auch offen praktiziert werden. Dann ist es meist gewollt, dass sich Angestellte stärker einbringen und den Chef optimal unterstützen. Weil ein Vorgesetzter, der sich allzu sehr von seinen Mitarbeitern beeinflussen lässt, vielfach als schwach eingeordnet wird, ist das jedoch eher die Ausnahme.
Was bringt Cheffing?
Cheffing wird häufig als Manipulation des Chefs betrachtet. Das hat einen negativen Beiklang, der nicht in jedem Fall berechtigt ist. Zwar geht es manchen Angestellten, die von unten führen, nicht darum, ihr Team oder die Firma voranzubringen, sondern ausschließlich um ihre eigenen Vorteile. Wer den Chef beeinflusst, hat schließlich bessere Karten, wenn es darum geht, eigene Ideen durchzusetzen, Gehaltserhöhungen einzustreichen und befördert zu werden.
Oft hat Cheffing, ebenso wie laterale Führung, jedoch übergeordnete positive Ziele und Auswirkungen, die nicht nur einzelne Mitarbeiter betreffen. Viele Mitarbeiter, die zu diesem Mittel greifen, sind schlicht frustriert. Statt das Handtuch zu werfen, indem sie kündigen, oder resigniert Dienst nach Vorschrift zu tun, möchten sie die Situation verbessern. Entsteht die Führung von unten aus einer objektiv suboptimalen Ausgangslage, kann sie positive Auswirkungen haben.
Auch das Konzept der lateralen Führung basiert auf der Annahme, dass Ergebnisse häufig dann am besten sind, wenn alle Beteiligten optimal zusammenarbeiten. Das ist in vielen Firmen nicht der Fall, besonders dort, wo Vorgesetzte strikte hierarchische Vorstellungen haben und ihre Mitarbeiter nicht ausreichend einbinden. Wer den Chef in einer solchen Situation subtil lenkt, kann die Arbeitsbedingungen für das ganze Team verbessern und dazu beitragen, dass die Produktivität steigt. Auf diese Weise kann laterale Führung ebenso wie Cheffing das Team voranbringen.
Häufig entstehen die besten Ergebnisse am Arbeitsplatz dann, wenn Mitarbeiter sich engagiert einbringen. Das macht nicht nur nicht jeder, oft ist es auch schlicht vom Chef nicht gewollt – der Mitarbeiter wird dann zwar angehört, wenn er seine Idee vorbringt, sie regt den Vorgesetzten jedoch nicht zum Nachdenken an oder bewegt ihn gar zum Umdenken. In solchen Fällen kann es gewinnbringend sein, den Chef von unten zu führen. Davon können, im besten Fall, alle profitieren – du selbst, deine Kollegen, deine Firma und damit am Ende auch dein Chef
Wann Cheffing eine Option sein kann
Ob Cheffing eine vielversprechende Option sein kann, hängt von der Ausgangslage ab. In einer Situation, in der es objektiv gut läuft und es keine nennenswerten Probleme mit dem Chef gibt, ist eine Führung von unten oft nicht die beste Strategie. Sie dient dann meist nur dem Einzelnen, was schlimmstenfalls auf Kosten von Kollegen oder der ganzen Abteilung gehen kann.
Cheffing bietet sich vielmehr an, wenn die Lage aus verschiedenen Gründen suboptimal ist und dies unmittelbar mit dem Verhalten des Chefs zusammenhängt. Das wäre etwa der Fall, wenn es gravierende Kommunikationsprobleme zwischen Mitarbeitern und Vorgesetztem gibt, oder wenn der Chef regelmäßig Entscheidungen trifft, die negative Auswirkungen haben.
In anderen Fällen kommt es zu Cheffing, weil der Vorgesetzte nicht kompetent genug erscheint, um in bestimmten Fragen optimal zu entscheiden. Längst nicht jede Führungskraft ist fachlich ausreichend qualifiziert, was immer wieder die Frage aufkommen lässt: „Warum ist der eigentlich Chef geworden?“ Die Antwort lautet in vielen Fällen: Weil er wichtige Fürsprecher hatte und ausreichend auf sich aufmerksam gemacht hat. Auch das umgekehrte Problem kann es geben: Der Chef ist zwar inhaltlich qualifiziert, aber durch seine Persönlichkeit kein guter Chef. Er tritt nicht wie ein Chef auf, ist beispielsweise nicht entscheidungsfreudig, kommuniziert nicht klar oder legt keine eindeutigen Ziele fest.
Führung von unten kann sich anbieten, wenn du hinter deinem Potenzial zurückbleibst – und sie ist umso sinnvoller, je eher es deinen Kollegen genauso geht wie dir. Wenn Strukturen, auch durch Cheffing, verändert werden können, kann das motivierend wirken. Ein motiviertes Team ist meist auch ein engagiertes Team, das seine Leistung steigern kann.
Wie geht Cheffing? Tipps für Mitarbeiter
Führung von unten kann in festgefahrenen Situationen eine Möglichkeit sein, aktiv zu einer Lösung beizutragen. Wer auf Cheffing zurückgreift, tut das oft nicht, um sich persönlich zu profilieren, sondern um die Gesamtsituation zu verbessern. Bevor du selbst Cheffing einsetzen kannst, solltest du die Lage analysieren. Welche Chancen du durch Führung von unten hast und wie vielversprechend Cheffing ist, hängt davon ab, dass du den richtigen Weg kennst. Dafür ist es entscheidend, dass du einerseits die Unternehmenskultur gut kennst. Dieses Wissen ermöglicht es dir, eine Strategie zu entwerfen, die optimal darauf zugeschnitten ist.
Andererseits gilt es, das Verhalten und die Persönlichkeit deines Vorgesetzten genau zu analysieren. Je besser du ihn kennst, desto besser kannst du mögliche Reaktionen abschätzen. Das steigert die Wahrscheinlichkeit, dass du deine Ziele durch Cheffing erreichst. Beobachte deinen Chef genau: Was bewegt ihn? Handelt er eher rational oder irrational? Was sind seine Schwachstellen? Für welche Art der Beeinflussung ist er vermutlich am ehesten zugänglich?
Der Charakter deines Chefs entscheidet maßgeblich darüber, welche konkreten Ansätze lohnenswert sind. Manche Chefs führt man von unten, indem man sie immer wieder bearbeitet, fast schon nervt. Andere sind zugänglich für konstruktive Kritik und ein offenes Gespräch. Wieder andere freuen sich, wenn man ihnen die Arbeit abnimmt und gute Ideen einbringt – selbst, wenn diese über den eigentlichen Kompetenzbereich des Mitarbeiters hinausgehen.
Bevor du Cheffing einsetzt, solltest du dir über deine konkreten Ziele im Klaren werden. Du musst wissen, was du erreichen möchtest, um eine gute Strategie entwerfen zu können. Im Folgenden stellen wir dir einige mögliche Ansätze für Cheffing vor. Es hängt von der Ausgangslage, deinen Zielen und deinem Chef ab, was infrage kommt.
Die Beziehung zum Chef verbessern
Wer sich gut mit einer anderen Person versteht, kann besser auf diese einwirken. Wenn dich ein Chef schätzt, wird es wahrscheinlicher, dass er auf Ratschläge hört und Ideen nicht einfach verpuffen. Dafür kann es sich lohnen, in die Beziehung zu deinem Vorgesetzten zu investieren. Suche dafür – subtil – den Kontakt zu deinem Chef, sprich öfter mal ein Lob aus, ohne zu schleimen, und stelle bestenfalls auch eine private Ebene her. Vielleicht gibt es Gemeinsamkeiten, etwa Hobbys und Interessen, über die sich ein Gespräch ergeben kann? Auch dezente Nachahmung deines Chefs kann nützlich sein. Dabei spiegelst du deinen Vorgesetzten durch Gesten oder Mimik. Menschen, die uns auf diese Weise ähnlich sind, nehmen wir oft positiver wahr.
Auf Kommunikation setzen
Wenn es Probleme mit dem Vorgesetzten gibt, liegt das oft an mangelnder Kommunikation. Wenn dein Chef hiermit Probleme hat, heißt das nicht, dass du aufgeben solltest. Nehmen wir an, das Problem besteht darin, dass dein Chef keine klaren Vorgaben macht. Wenn er dir eine Aufgabe übertragen hat, bist du unschlüssig, was genau sie umfasst oder welches Vorgehen sich dein Chef vorstellt. Dann ist es am besten, wenn du nachhakst und dich nicht mit einer Nicht-Antwort zufriedengibst. Lasse erst locker, wenn du weißt, was von dir verlangt wird. Fordere deinen Chef, wenn nötig, zur Klärung auf. Auch eine Rückmeldung, etwa zu erledigten Aufgaben, kannst du einfordern.
Wenn du ein Anliegen hast, suche das Gespräch mit deinem Chef. Dafür ist der richtige Zeitpunkt entscheidend. Wenn du zwischen Tür und Angel mit einem Anliegen kommst, erkennt dein Chef den Ernst der Lage womöglich nicht oder hat gerade keine Zeit, sich auf dich einzulassen. Bei wichtigen Themen solltest du deshalb ein Gespräch vereinbaren, damit sich dein Chef darauf vorbereiten und sich Zeit für dich nehmen kann.
Auch das Mitarbeitergespräch ist eine gute Gelegenheit, Grundlegendes anzusprechen. Viele Mitarbeiter sitzen das Personalgespräch eher aus, statt aktiv Themen einzubringen, die ihnen wichtig sind. Damit verpasst du jedoch eine Chance, die Lage zu verbessern. Wenn dein Chef nicht weiß, woran es hakt, kann sich auch nichts ändern.
Kommunikationsprobleme sind oft nicht einseitig, sondern ein Resultat aus mangelnder Kommunikationsfähigkeit beider Seiten. Sei deshalb selbstkritisch und hinterfrage, ob du womöglich selbst in Muster verfallen bist, die einer guten Kommunikation nicht dienlich sind.
Eigene Vorschläge einbringen
Dein Chef ist passiv und wenig entscheidungsfreudig? Dann nutze die Chance, eigene Vorschläge einzubringen. Dein Chef lässt sich wahrscheinlich am ehesten von deiner Idee überzeugen, wenn du damit an etwas anknüpfst, was er vorgeschlagen hat. Damit signalisierst du grundsätzliche Zustimmung zu seinem Ansatz, was wie ein unausgesprochenes Lob wirkt. Auch hier ist der richtige Zeitpunkt wichtig. Deine Idee sollte Hand und Fuß haben und ausreichend durchdacht sein. So kannst du möglichen Einwänden deines Chefs begegnen und dir Argumente für das vorgeschlagene Vorgehen zurechtlegen. Wie offen dein Chef für deine Vorschläge ist, hängt nicht nur daran ab, wie gut deine Ideen sind. Auch die Qualität eurer Beziehung wirkt sich aus.
Mögliche unerwünschte Folgen einer Führung von unten
Cheffing kann eine Verbesserung bewirken, es ist jedoch auch mit Risiken verbunden. Deshalb solltest du immer subtil und vorsichtig vorgehen. Wenn dein Chef merkt, dass du ihn steuern willst, fühlt er sich vermutlich nicht respektiert und wertet es im schlimmsten Fall als Affront. Das kann eure Beziehung schädigen und zusätzliche Probleme hervorrufen. Bedenke auch, dass dein Chef womöglich weiterträgt, dass du seine Führung untergräbst. Das kann deine Stellung verschlechtern und deiner Karriere bei deinem Arbeitgeber im Weg stehen.
Bei einer Führung von unten ist entscheidend, zum Wohle aller Beteiligten zu handeln. Wer einseitig den eigenen Vorteil sucht, riskiert, dass sich das Verhältnis zu den Kollegen verschlechtert. Wenn du als jemand wahrgenommen wirst, der sich wichtig macht und den Boss mimt, machst du dir damit keine Freunde. Das kann für Probleme am Arbeitsplatz sorgen und das Betriebsklima negativ beeinflussen.
Eine subtile Steuerung deines Chefs sollte nie ohne Anlass sein. Es sollte gute Gründe hierfür geben. Hinterfrage immer wieder deine eigene Motivation und deine eigenen Ideen. Ist die Vorgehensweise, die du dir vorstellst, wirklich besser? Oder könnte sich dadurch sogar eine Verschlechterung der Lage ergeben – durch Faktoren, an die du nicht gedacht hast? Es kann sinnvoll sein, das Gespräch mit deinen Kollegen zu suchen. Geht es ihnen auch so wie dir, oder stehst du mit deiner Meinung allein da? Wenn niemand deine Einschätzung teilt, ist es wahrscheinlicher, dass du falsch liegst, als dass sich alle anderen irren.
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